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Elternschaft stinkt
Ich bin mir sicher, mit dieser Headline habe ich eure Aufmerksamkeit erlangt. Aber auch das muss mal gesagt werden – und lest den Artikel zu Ende, bevor ihr mich steinigt.
Facebook, Instagram, Blogs – das Web ist voll mit Vorzeigemamas- und Papas, die uns ihre hübsch gestylten, braven, überdurchschnittlich intelligenten, rundum perfekten Kinder in Markenklamotten im Designerkinderzimmer präsentieren, um eine nette kleine Fassade aufrechtzuerhalten.
Hört auf, uns anzulügen. Besser noch: hört auf, euch selbst anzulügen.
Mit Kindern ist nichts mehr wie zuvor - Copyright:shutterstock.com/Igor Pushkarev
Ich für meinen Teil traue niemandem, der Fotos von seinen gestriegelten Kindern im Kinderzimmer mit makellosen Wänden postet. Alles Märchen, die Realität schaut ganz anders aus.
Es gibt keine perfekten Eltern, so wenig wie es perfekte Kinder gibt. Punkt. Im Gegenteil, perfekte Elternschaft ist ein Mythos, eher reitet man noch auf einem regenbogenfarbenen Einhorn dem Sonnenuntergang entgegen. Elternschaft ist Planlosigkeit in Reinkultur, gespickt mit Dingen und Ereignissen, die man nicht vorhersehen kann, erbarmungslos und unberechenbar.
Ich blicke zurück auf unser Pre-Elterndasein und frage mich, womit wir die ganze freie Zeit verbracht haben, die uns damals zur Verfügung stand. Vom Geld mal ganz abgesehen, denn mit 2 Gehältern und ohne Kinder lebte man wie Gott in Frankreich. Ich erinnere mich an Zeiten in denen es selbstverständlich war, mal in Ruhe eine halbe Stunde auf dem Klo zu sitzen. Oder sich einen ungesunden Snack zu gönnen, ohne dass ein kleiner Mensch angerannt kam und schrie „Ich will auch! Ich will auch!“. Sex mit dem Partner erfordert ein gewisses Maß an Kreativität und Spontanität (tut er im Idealfall immer, aber mit Kindern halt in eine andere Richtung). Heute, als Elternteil, gehören 98% deiner Zeit nicht mehr dir. Die restlichen 2% ist die Zeit in der man versucht, zu schlafen.
Vor den Kindern habe ich mir ums Leben keine Sorgen gemacht. Seit den Kindern bin ich ein nervöses Wrack. Das beginnt schon mit der Schwangerschaft und endet nie. Man hinterfragt sich selbst, ortet „Gefahren“ die man davor nur belächelte, übersteht mit den Kindern Krankheiten, Arztbesuche, macht sich Sorgen um die Schule, macht sich Sorgen um die Zukunft, der Gedanke „Was wird mal aus meinen Kindern, welche Chancen werden sie mal haben?“ wird zum omnipräsenten Stammgast im Hinterkopf, man könnte ganze Bücher damit füllen – aber wem erzähle ich das, die meisten von euch kennen das vermutlich selbst ganz gut.
Elternschaft prügelt dich nieder, ohne Gnade. Sie nimmt keine Rücksicht darauf, ob dein Tag gut oder schlecht war. Ob du Mann oder Frau bist. Ob du finanziell grad flüssig bist oder jeden Cent 2x umdrehen musst. Du bist Vater/Mutter, ob es dir passt oder nicht und egal wie oft du – bildlich gesprochen – im Dreck landest: Steh wieder auf, denn du bist ein gottverdammter Held.
Außerdem…wenn du liegen bleibst…wer räumt dann hinter den Kindern her?
Nachdem ich das nun alles niedergeschreiben habe: Vater zu sein, ist das Großartigste, das mir je passiert ist. Wenn ich meine Töchter anschaue, könnte ich mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Sie bereichern mein Leben, haben mich verändert, meinen Fokus neu justiert, mich zu einem besseren, geduldigeren Menschen gemacht. Ein „Ich hab dich lieb, Papa“ und ein herzlicher Schmatz erfüllt mich mit dieser warmen, unendlichen Liebe und der tiefen Überzeugung, dass ich für den Rest meines Lebens für die 2 kleinen Ziegen da sein werde. Egal wie sehr sie mir auf die Nerven gehen, ich will für sie dieser Übervater sein, der Held den sie verdienen, ihr Fels in der Brandung. Der Mensch zu dem sie kommen, wenn mal was auf die Seele drückt. Der Vater, der ihr Date allein mit einem bösen Blick in die Knie zwingt, wenn er die Prinzessin nicht so behandelt, wie sie es verdient (auch wenn die Prinzessin dann schon 30 ist).
Hoffentlich können die beiden uns bald Frühstück ans Bett bringen, dann liebe ich sie noch viel mehr ;-)
Uber den Autor: Ric ist verheiratet und Vater von 2 Töchtern. Liebenswerter Klugscheißer und Anti-Erziehungsexperte, der sich gerne von seinen beiden Mädels um den Finger wickeln lässt. Gerade von der Schweiz nach Schottland übersiedelt, gönnt er sich eine Auszeit, um seine Mädels beim Gewöhnen an ihr neues Umfeld zu unterstützen. Eigentlich wollte er nach beruflichem Dauerstress auch mal tief Luft holen, was angesichts der beiden kleinen Ziegen jedoch ein sehr naiver Gedanke war.
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