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Schürfwunden
Gerade auf dem Spielplatz angekommen, das Kind rennt los, stürzt und schon ist es da, das große „Aua“ in Form einer Schürfwunde. Wir als Eltern, ob es um ein aufgeschlagenes Knie oder einen abgeschürften Ellenbogen geht, sind nun gefragt. Doch was mache ich jetzt überhaupt?
Einigen wird jetzt sicherlich sofort der Gedanke durch den Kopf schießen: Pflaster oder an der Luft trockenen lassen, denn frische Luft ist ja bekanntermaßen das Beste, oder?
Aber fangen wir erst bei ganz anderen Grundsätzen an. Ich sehe es Tag für Tag und überall: Kinder rennen und stürzen, fangen an zu weinen und was passiert dann? - Richtig! Mama oder Papa rennen dann ihrerseits zum Kind und fangen sofort an zu pusten, zu tätscheln, Pflaster auf Stellen zu kleben an denen noch nicht einmal ansatzweise eine minimale Abschürfung zu erkennen ist…
Unseren Kindern tun wir mit einem solchem Verhalten aber keinen wirklichen Gefallen. Natürlich ist es nötig dem eigenen Kind zu vermitteln, dass man da ist, dass man es beschützt und dass man, sofern es Schmerzen hat, versucht alles dafür zu tun diese Schmerzen vergessen zu machen. Dies sollte man jedoch nicht übertreiben, denn Kinder müssen lernen mit Schmerzen umzugehen.
Gerade wenn ein Kind laufen lernt, sich die ersten Male versucht aufzurichten, stürzt es, steht auf, stürzt, steht auf und macht immer weiter und das ohne zu weinen. Und dann kommen wir…
Baby stürzt und Mutti/Vati läuft, hebt sein Kind auf dem Arm und äußert die Standardworte: „Oh, bist du hingefallen? Ist nicht schlimm. Brauchst nicht weinen“. Im kindlichen Kopf geht dann Folgendes vor: „Wenn es nicht schlimm ist, warum nimmst du mich dann hoch, kuschelst, pustest und lässt mich nicht einfach weiter machen? Und ich weine doch noch gar nicht!? – Du erwartest also, dass ich weine! Dann muss es also doch irgendwie schlimm sein“. Und schon prägen wir unser Kind darauf beim kleinsten Wehwehchen zu heulen wie ein Schlosshund. Kinder sind sehr schnell lernfähig und nutzen so etwas dann schamlos aus. Das dürfen Sie auch, aber wir sollten in unserer erzieherischen Funktion nicht der Faktor sein, der das Ganze noch zusätzlich fördert.
Oder kennen Sie auch dieses klassische Bild, über das man bei anderen Familien lacht? Das Kind stößt sich das Bein auf, bleibt ruhig, schaut sich um, entdeckt Mutti und fängt erst dann an zu weinen? Kennen Sie das? Wissen Sie was das Schlimme ist? Dass wir bei anderen drüber lachen, aber selbst keineswegs besser sind, denn unsere Kinder machen es nicht anders. Wir haben ein bisschen zu sehr verwöhnt, unseren Kindern die Grenzen sehr eng gezogen und haben es jetzt mit kleinen Pflasterfetischisten zu tun. Ich weiß wovon ich rede, denn meine Frau ist da nicht anders gewesen.
Bei jedem quer sitzenden Pups, gab es Küsschen, Streicheleinheiten, Puste, Pflaster und an guten Tagen noch ein Eis oben drauf und das obwohl nichts passiert war. Und das lernte unsere Bande dann auch sehr schnell: Sturz, nix passiert und schon hieß es: „Mama ich brauch ein Pflaster! Mama krieg ich ein Eis, gehen wir in den Zoo, kaufst du mir ein Auto, usw.???“.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Wenn es blutet, dann müssen wir etwas tun, wenn unser Kind heftig gestürzt ist dann auch, denn es könnte etwas gebrochen sein, aber wenn der kleine Wurm aus 10cm auf den weichen Rasen oder in den Sandkasten fällt, ist das Risiko, dass etwas Schlimmes passiert quasi gegen Null tendierend – viel eher werden Sie von einem Blitz getroffen oder gewinnen im Lotto.
Also übertreiben wir es zukünftig am besten nicht bereits bei Kleinigkeiten und lassen unser Kind lernen, wie es mit Schmerz umzugehen hat – denn wir alle haben mit der Zeit gelernt, dass es Dinge gibt die einen Aufschrecken lassen, aber nicht wehtun und es auf der anderen Seite Verletzungen gibt die wirklich versorgt werden müssen. Unsere Aufgabe ist es unsere Kinder bei diesem Lernprozess zu unterstützen.
Aber Mal weg von Pflasterfetischisten-Kindern, Helikoptereltern und dem Pseudoerziehungsratgeber und hin zu dem wozu diese Kolumne eigentlich da ist: Erste Hilfe!
Nun blutet es mal tatsächlich, der Arm und/oder das Bein sind nicht komplett verdreht oder verkürzt, uns guckt kein Knochen entgegen, das Kind hat kein Gelenk wo eigentlich keins sein sollte und wenn ich kurz an der entsprechenden Extremität entlangtaste, dann gibt es auch keine tastbaren Knochenstufen (also eine fühlbare Fehlstellung des Knochens) – wir haben eine Schürfwunde.
Sollte die Blutung schlimm und unstillbar sein, man echte Bedenken haben, dass vielleicht doch etwas gebrochen ist, dann holen wir uns natürlich auch hier den Rettungsdienst. Sollte das jedoch nicht der Fall sein dürfen wir tatsächlich selbst tätig werden und können das Handy stecken lassen.
Kleine Fremdkörper, wie zum Beispiel Sandkörnchen sollten vorsichtig entfernt werden (VORSICHTIG! Und nicht so wie unsere Mütter es damals ganz gerne gemacht haben: mit der Scheuerbürste… und ja Mama, ich hab das nicht vergessen!).
Danach sollte man die Wunde desinfizieren, denn es ist ja Schmutz und somit eine Vielzahl an Erregern eingedrungen. Was eignet sich nun am besten dazu?
Alkohol? – Hmmmmm, wann haben Sie sich das letzte Mal in den Finger geschnitten und Alkohol drauf gekippt ohne vor Schmerzen durch die Decken zu fahren? Gerade die Freshdads müssten das mit Rasieren und dem After Shave in Verbindung bringen und das ist nichts was man gerne macht (außer vielleicht einige wenige, aber ich möchte nicht vom Thema abschweifen). Alkohol desinfiziert, aber er „trocknet“ auch aus, tut höllisch weh (schließlich haben wir es hier mit Kindern zu tun) und, für die, die nicht abgeneigt sind, erfüllt seinen Zweck, ohne es zu übertreiben, viel besser in einem kalten Glas.
Jod? Ist eine Alternative, „trocknet“ die Wunde zwar auch aus – bevor jemand schreit: Ich meine nicht das Salz! – aber saut die Kleidung ein und ist in großen Mengen schädlich. Also alles in allem ok, erfüllt den Zweck, hat aber auch Nachteile.
Was bleibt ist ein kleines klares Wundermittel: Octenisept. Das brennt nicht, saut Klamotten nicht ein, ist auch nicht giftig und trocknet eine Wunde nicht aus. Es gibt zwar einige wenige Menschen die behaupten, auch das würde brennen, aber ein Mittel welches sogar bei Operationen im Genital- und Rektaltrakt zum Einsatz kommt, kann und sollte nicht brennen. Das ist dann eher damit in Verbindung zu bringen, dass jeder Mensch grundsätzlich bei klaren Flüssigkeiten sofort an Alkohol denkt und klar, der muss auf der Wunde brennen. Der eigene Verstand leitet uns einfach in die Irre.
Das einzige was man bei Octenisept beachten sollte ist, dass es vollständig trockenen oder abfließen sollte bevor man die Wunde verschließt. Dieses Octenisept erhalten Sie in der Apotheke ihres Vertrauens in unterschiedlichen Größen – meine Frau bspw. hat für meine Chaoskids ein 30ml-Fläschchen in der Handtasche (platzsparend und hilfreich zu gleich).
Alles nicht zur Hand? Dann zumindest Wasser! In unseren Breitengraden kann ich bedenkenlos Wasser nehmen um weitere Keime zumindest wegzuspülen. Das ersetzt keine Desinfektion, bei der Erreger abgetötet oder unschädlich gemacht werden, aber es ist besser als Nichts.
Sauber und desinfiziert bleibt noch die Frage: Pflaster oder lieber doch nicht?
Die Antwort darauf lautet: Luft ist zwar schön, sie hat nur den blöden Nachteil, dass sich über Sie auch Keime verbreiten. Und genau die wollten wir ja durch Säuberung und Desinfektion vermeiden, also kommen wir um ein schützendes Pflaster nicht herum. Einmal draufgetan ist die Wunde vor weiterem intensivem Erreger- und Keimbefall geschützt und das Kind kann munter weiterspielen oder ein Trosteis essen gehen.
Eine Sache gibt es dann aber doch noch auf die ich achten sollte: Ist mein Kind gegen Tetanus geimpft?
Falls ja: machen Sie sich keine Sorgen! Falls Sie sich unsicher sein sollten oder die Frage verneinen müssen: Holen Sie die Impfung nach. Tetanus (ich erspare Details um nicht zum weiten Schlag auszuholen und verweise einfach auf das Internet) ist keine lustige Angelegenheit, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte – unbehandelt kann Tetanus zum Tod führen. Und auch wenn es bereits just in diesem Moment passiert sein sollte und ihr Kind nicht geimpft ist: Ein kurzer und zeitnaher Besuch beim Kinderarzt oder notfalls auch im Krankenhaus wird helfen, denn Tetanus kann man passiv nachimpfen und damit ist dann auch diese letzte Gefahr gebannt.
Und nun viel Spaß auf dem Spielplatz und vergessen Sie nicht: Pflaster, eine Desinfektionsmöglichkeit und ein paar Cent für das Eis hinterher!
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Autor: Slawomir Ernst (Rescuedad) ist verheiratet und Vater von vier Söhnen. Zurzeit ist er als Schulleiter einer Berliner Rettungsdienst-Akademie und Ausbilder in der Breitenausbildung (Bereich Erste Hilfe, Erste Hilfe am Kind und Lebensrettende Sofortmaßnahmen) tätig. Ab und zu trifft man ihn auch noch auf einem Rettungs- oder Krankenwagen.
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