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Warum die Deutschen keine Kinder bekommen
Im europäischen Vergleich belegt Deutschland beim Thema Kinderfreundlichkeit den letzten Rang. Lediglich 21 Prozent der Bundesbürger sehen ihr Heimatland als kinderfreundlich an. Da überrascht es kaum, dass auch die Geburtenquote hierzulande mit 1,37 Kindern pro Frau sehr niedrig ist. Wenn Deutschland nicht überaltern und damit das gegenwärtige Finanzierungsmodell von Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung über den so genannten „Generationenpakt“ auch zukünftig möglich sein soll, müssen die Deutschen wieder mehr Kinder bekommen.
Weshalb aber werden in Deutschland so wenige Kinder geboren? Ist es der fehlende Partner oder sind es die mangelhaften Voraussetzungen, um Beruf und Familie zu vereinen? Ist es der Egoismus des Einzelnen oder ungenügende gesellschaftliche Anerkennung?
Die Mehrheit der Bundesbürger nennt drei wesentliche Gründe als ausschlaggebend für die geringe Anzahl an Familiengründungen:
Der Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit, die Sorgen vor den finanziellen Aufwendungen für den Nachwuchs und der persönlich höhere Stellenwert der eigenen Karriere gegenüber der Familiengründung.
Dies geht aus einer aktuellen Repräsentativbefragung der gemeinnützigen Stiftung für Zukunftsfragen, eine Initiative von British American Tobacco, hervor, für die 2.000 Personen ab 14 Jahren befragt wurden.
„Viele Deutsche haben schlichtweg Angst vor der Familiengründung“, so Professor Dr. Ulrich Reinhardt, der Wissenschaftliche Leiter der Stiftung. Es ist die „Angst, die eigene Autonomie zu verlieren, Angst vor den Kosten, Angst, die eigenen Karrierechancen zu verbauen, Angst vor Scheidung, dem falschen Zeitpunkt oder den Zukunftsperspektiven für den eigenen Nachwuchs“ summiert Reinhardt.
Des Weiteren werden die fehlenden staatlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen für Familien bemängelt: Die Argumente reichen von fehlenden Kindergartenplätzen über familienunfreundliche Städte bis zum geringen gesellschaftlichen Stellenwert von Familien.
Frauen vermissen vor allem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Innerhalb der Bevölkerung sind unterschiedliche Gründe von Bedeutung. So führen Westdeutsche eher den fehlenden Partner an (West: 41%; Ost: 32%), Ostdeutsche bemängeln dagegen die staatlichen Rahmenbedingungen (West: 43 %; Ost: 58 %).
Große Abweichungen zeigen sich auch bei der Unterteilung nach dem Nettohaushaltseinkommen. So sehen die Besserverdienenden die eigene berufliche Laufbahn als bedeutender als eine Familiengründung an (ab 2.500 EUR monatliches Nettohaushaltseinkommen: 56 %; unter 1.000 EUR: 45 %).
Geringverdiener glauben hingegen seltener an „den Partner fürs Leben“ und fürchten, dass ihr Kind bei nur einem Elternteil aufwachsen würde (ab 2.500 EUR monatliches Nettohaushaltseinkommen: 19 %; unter 1.000 EUR: 32 %). Zudem bemängeln sie deutlich häufiger die fehlenden staatlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen (Besserverdiener: 43 %; Geringverdiener: 56 %).
Die Schwierigkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren, wird besonders häufig von berufstätigen Frauen als Argument gegen eine Familiengründung angeführt (berufstätige Frauen: 52 %; berufstätige Männer: 44 %). Diese Gruppe befürchtet darüber hinaus vermehrt, dass ihre Kinder in Zukunft kein sicheres und sorgenfreies Leben führen können (berufstätige Frauen: 50 %; berufstätige Männer: 45 %).
Wege aus der Kinderlosigkeit - Anforderungen an den Staat
Erst in etwa 25 bis 30 Jahren lässt sich abschließend beurteilen, ob das vor drei Jahren neu eingeführte Elterngeld tatsächlich zu einem Einstellungswandel und einer gesteigerten Geburtenrate geführt hat.
Gegenwärtig wie auch zukünftig wird die Anzahl von jährlichen Geburten auch durch externe Faktoren beeinflusst werden – von Wirtschaftskrisen und -wachstum, warmen Sommern und kalten Wintern bis hin zu Naturkatastrophen und Fußballweltmeisterschaften. Gleichwohl darf sich Deutschland nicht nur darauf beschränken, auf diese äußeren Einflüsse zu reagieren, sondern muss weitere konkrete Maßnahmen einleiten, um die Geburtenrate in Deutschland positiv zu beeinflussen.
Aus Sichtweise der Bevölkerung sollten hierfür vor allem der Staat und die Wirtschaft in die Pflicht genommen werden. Hierbei wollen die Bürger Unternehmen nicht zu einer Frauenquoten verpflichten oder zu mehr Familienangeboten überreden, sondern sie würden es vor allem begrüßen, wenn Firmen, die sich für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einsetzen, eine staatliche Förderung erhielten – z.B. in Form von steuerlichen Vorteilen.
Betriebe sollten zudem erkennen, welcher Imagegewinn durch familienfreundliche Maßnahmen möglich wäre. Bereits gegenwärtig entscheidet oftmals nicht alleine das Produkt, sondern auch das Firmenimage über den Erfolg beim Kunden und auch bei der Suche nach qualifizierten Arbeitskräften. Unternehmen sollten sich bewusst werden, dass schon heute fast zwei Drittel der Bevölkerung (64 %) mit Firmen sympathisieren, die z.B. Teilzeit auf allen Ebenen anbieten oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in anderer Form fördern. Dies kann zu einem entscheidenden Marktvorteil werden.
Die Forderungen an den Staat konzentrieren sich dagegen in erster Linie auf finanzielle Bereiche. So wünscht sich eine Mehrheit der Deutschen mehr kostenfreie Betreuungsangebote für Babys und Kleinkinder (59 %). Fast ebenso viel Zustimmung erhält die Forderung nach einer zusätzlichen staatlichen Förderung von Familien (55 %). Diese reichen von Maßnahmen monetärer Art (Steuerentlastungen) über zeitliche Vorteile (mehr Urlaubsanspruch) bis hin zu vergünstigten Eintritten in Schwimmbädern, Museen oder Theatern.
Das Fazit von Professor Reinhardt: „Nur jeder fünfte Bürger hält Deutschland für ein kinderfreundliches Land. Dieser Zustand ist nicht zukunftsfähig. Wenn es um das Thema Kinder geht, äußert die Bevölkerung vor allem Sorgen und Befürchtungen. Dieser Zustand kann nur gemeinsam verbessert werden. Die Politik ist aufgefordert, die (finanziellen) Rahmenbedingungen zu stellen und die Wirtschaft sollte sich den Möglichkeiten eines familienfreundlichen Images bewusst werden. Der entscheidende Schritt muss dann selbstverständlich von den Bürgern selbst gegangen werden.“
Quelle: Stiftung für Zukunftsfragen
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