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Warum Kinder von Migranten kaum studieren gehen
Migrantenkinder erbringen im Schnitt keine schlechteren schulischen Leistungen als einheimische Kinder. Trotzdem sind sie auf Gymnasial- und Hochschulstufe unterrepräsentiert. Die Gründe sind nicht Diskrimi-nierung durch die Lehrperson oder die Schule, sondern oftmals die schwache finanzielle und kulturelle Ausstattung des Elternhauses. Dabei bestehen zwischen den einzelnen Nationalitäten grosse Unterschiede. Dies zeigt eine vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützte bildungssoziologische Studie.
Das Schweizer Bildungssystem steht nicht allen Jugendlichen gleichermassen offen. Kinder von Akademikern und vermögenden Eltern erwerben viel häufiger einen höheren Bildungsabschluss als Kinder von Migranten und aus den Unterschichten. Diese Tatsache verletzt nicht nur die in der Verfassung festgehaltene Chancengleichheit. Sie ist zudem volkswirtschaftlich schädlich, weil sie dazu führt, dass leistungsfähige Individuen aus bildungsfernen Elternhäusern ihr Potenzial nicht entfalten können – was in der Schweiz deutlich häufiger vorkommt als in einigen Nachbarstaaten.
Warum aber sind die Chancen im Bildungssystem gerade für Migrantenkinder schlecht?
Unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds, hat der Bildungssoziologe Rolf Becker von der Universität Bern mit seinem Team diese Frage für den Übergang von der Primarstufe auf die Sekundarstufe I statistisch mit Daten des Geburtsjahrgangs 1985 in der Deutschschweiz (2755 Fälle), mit Daten von 1998 für Schulkinder am Ende der Primarstufe im Kanton Zürich (1200 Fälle) sowie mit Daten für Primarschulkinder in den Kantonen Bern und Zürich (1366 Fälle) untersucht.
Das grössere Risiko, in der Sonderschule zu landen
Migrantenkinder sind im Bildungssystem im Nachteil. Dabei variieren die Unterschiede zwischen den Nationalitäten stark. Die aus Deutschland, Frankreich und Österreich stammenden Kinder sind aufgrund ihres vorteilhaften sozioökonomischem Hintergrunds oftmals erfolgreicher als einheimische Kinder. Die deutlichen Nachteile der Migrantenkinder aus der Türkei, aus Portugal oder vom Balkan ergeben sich nicht durch Diskriminierung durch die Lehrpersonen. Sie werden von den Lehrern aufgrund ihrer tatsächlichen Leistungen gerecht benotet und nicht von vornherein als «Problemfälle» etikettiert und stigmatisiert. Ebenso wenig finden sich Hinweise dafür, dass sie strukturell durch das Schulsystem benachteiligt würden.
Die Gründe für die Nachteile sind oftmals die schwache finanzielle und kulturelle Ausstattung des Elternhauses sowie Sprachprobleme. Dabei besitzen viele der Eltern den deutlich stärkeren Wunsch als einheimische Eltern, dass ihre Kinder die Matura machen – in den Kantonen Bern und Zürich sind dies über 87%. Bei den einheimischen Eltern sind es nur 69%. Trotzdem sind viele Migrantenkinder einem knapp dreimal grösseren Risiko ausgesetzt als einheimische Kinder, in einer Sonderschule unterrichtet zu werden, und einem zwei- bis dreimal höheren Risiko, keine Lehrstelle zu finden oder keine nachobligatorische Berufsausbildung abzuschliessen. Migrantenkinder sind an den Universitäten unterrepräsentiert. Ihr Anteil an den Absolventen liegt schweizweit bei 5%, obschon sie im Schnitt keine schlechteren schulischen Leistungen erbringen als die Einheimischen.
Schulische Selektion erfolgt zu früh
Rolf Becker empfiehlt erstens, die Sprachprobleme der Migranten- und der Unterschichtkinder zu beheben. Diese sollten möglichst vor der Einschulung in der jeweiligen Landessprache gefördert werden. Im Kanton Zürich besuchten 1998 rund 6% der Migrantenkinder das Gymnasium. Hätte man ihre Leistungen in Deutsch verbessert, hätte sich der Anteil, wie die statistischen Berechnungen nahelegen, verdoppelt. Man könnte so auch die Bildungschancen einheimischer Schulkinder aus den Unterschichten deutlich verbessern.
Zweitens sollten laut Becker die Eltern besser über die Möglichkeiten des Bildungssystems informiert werden. Drittens sollte die folgenreiche Selektion für die Sekundarstufe nicht bereits nach der vierten oder sechsten Klasse, sondern später erfolgen oder in der obligatorischen Schulzeit gar aufgehoben werden. Viertens müssten die grossen Bildungs- und Einkommensunterschiede reduziert werden – in der Schweiz eine «utopische Forderung», wie Becker sagt. Doch in Schweden beispielsweise wirkten sich die ausgeglichene Vermögensstruktur, die bessere schulische Qualifizierung der Bevölkerung sowie die hohe Erwerbstätigkeit der Mütter positiv auf die Chancengleichheit beim Bildungszugang und Erwerb von Bildungsabschlüssen aus.
Quelle: Universität Bern
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