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Work-Life-Balance: Ein überaltertes Konzept
Die Zeiten, in denen der Vater das Geld nach Hause brachte und die Mutter sich um die Erziehung der Kinder kümmerte, scheinen vorbei. Aktuellen Untersuchungen zufolge sind bereits in rund 60 Prozent aller Familien beide Partner berufstätig. Diese Doppelbelastung zu schultern, ist eine Aufgabe, die viele Betroffene an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringt.
Der Zeitdruck macht die Balance zunichte
Die Auflösung der traditionellen Rollenverteilung bringt auf den ersten Blick einige Vorteile mit sich: Die Frau kann ihre beruflichen Ziele verwirklichen, ohne auf eine eigene Familie verzichten zu müssen. Es fließt zusätzliches Geld in die Haushaltskasse, sodass die finanzielle Verantwortung nicht ausschließlich beim Vater liegt. Dennoch empfinden es viele Paare als schwierig, Familie und Beruf zu kombinieren. Ein wesentlicher Grund hierfür ist der immense Zeitdruck: Eine Studie des amerikanischen Pew Research Centers ergab, dass sich 34 Prozent der Väter und 40 Prozent der Mütter regelrecht gehetzt fühlen.
Hinzu kommt der Druck der Öffentlichkeit, der oftmals unterschätzt wird. In manchen Stadtvierteln gibt es ganze Straßenzüge, in denen fast ausschließlich Familien leben. Nahezu alle Eltern gehen einer Erwerbstätigkeit nach, sodass man gewissermaßen unter Zugzwang steht. Vor allem Männer haben noch immer Probleme damit, zuzugeben, dass sie nicht vierzig, sondern vielleicht nur zwanzig Stunden in der Woche arbeiten.
Fast die Hälfte aller Väter leidet unter Selbstzweifeln
Die oben erwähnte Studie ergab außerdem, dass 23 Prozent der Frauen und fast 50 Prozent der Väter glauben, dass sie zu wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man sich Folgendes vor Augen hält: Seit den 1960er Jahren hat sich die Zeit, die Männer mit ihren Kindern verbringen, verdreifacht. Bei den Frauen ist sie immerhin um das Doppelte gestiegen. Das schlechte Gewissen vieler Eltern scheint bei genauerem Hinsehen eine Art Selbstbestrafung dafür zu sein, dass man sich der Norm widersetzt.
Mehr Life statt Work
Mittlerweile vertreten nicht wenige Menschen die Ansicht, dass es so etwas wie eine Work-Life-Balance in Wirklichkeit nicht gibt. Der Ansatz stammt aus den 1980er Jahren – demselben Jahrzehnt, in dem Begriffe wie „Powerfrau“ oder „Dink“ (Double Income, No Kids) salonfähig wurden.
Wer wirklich zufrieden leben will, ist gut beraten, das Leben in seiner Gesamtheit zu betrachten. Letztendlich ist jeder Beruf, der die eigenen Bedingungen nicht erfüllt, nichts weiter als eine Verdienstquelle. Freilich sind die Anforderungen an den Job individuell verschieden: Während der eine gerne und viel arbeitet, legt der andere Wert auf viel Freizeit und ein harmonisches Arbeitsumfeld. Für die meisten Berufstätigen beinhalten die Bedingungen aber eine Mischung aus Freiheit, Forderung und Engagement.
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Anforderungen im Laufe der Zeit ändern. Je älter die Kinder werden, desto mehr verschieben sich die Prioritäten. Der Workaholic-Job, der für einen Hochschulabgänger das Nonplusultra darstellt, ist für einen Familienvater denkbar ungeeignet – zumindest dann, wenn man vorhat, sich in angemessener Weise um seine Kinder zu kümmern.
Der Teilzeitjob kommt immer mehr in Mode
Wer Familie und Beruf unter einen Hut bringen möchte, hat im Grunde genommen nicht viele Optionen: Entweder geht man vorübergehend etwas vom Gas und reduziert seine Stundenzahl oder wechselt ganz in eine Teilzeitbeschäftigung. In Familien, in denen die Frau die Hauptverdienerin ist, ist auch ein Minijob denkbar. Auf dem Internetportal jobtonic.de findet sich eine Vielzahl von Tätigkeiten, die man neben den häuslichen Aufgaben erledigen kann. Hier gibt es lukrative Minijobs in Frankfurt und anderen Städten Deutschlands.
Die Unternehmen sind gefordert
Eine von der Unternehmensberatung Väter gGmbH durchgeführte Trendstudie zeigt, dass Väter sich heute nicht mehr mit der Rolle des Geldverdieners zufriedengeben wollen. Mehr als 88 Prozent von ihnen möchten die Entwicklung ihrer Kinder von Anfang an aktiv begleiten. Über die Hälfte der Väter ist willens, finanzielle Einbußen hinzunehmen und die Familie zum Mittelpunkt ihres Lebens zu machen, anstatt sich der Karriere zu verschreiben.
Das Problem: Noch immer gibt es äußerst wenige Unternehmen, die sich darauf einlassen. „Ganz oder gar nicht“ lautet stattdessen die Devise – zum Nachteil der Kinder, die ihren gestressten Vater nur selten zu Gesicht bekommen. Dabei profitieren auch die Arbeitgeber, wenn Väter eine Zeit lang kürzertreten. Lebenserfahrene Menschen sind weitaus besser dazu geeignet, Mitarbeiter zu führen als Singles. Da sie es gewohnt sind, Verantwortung zu übernehmen, haben sie in der Regel kein Problem damit, dies auch im Unternehmen zu tun.
Wenn die Kinder etwas älter sind, blühen viele Väter auf und sind bereit, volle Leistung zu bringen.
Ein solches Arbeitsleben können derzeit nur wenige Fachkräfte bei ein und derselben Firma verwirklichen. Eines ist jedoch sicher: Diese Situation wird sich mittel- und langfristig ändern, da immer weniger Väter bereit sind, ihr Familienleben auf dem Altar des beruflichen Erfolgs zu opfern. In Skandinavien etwa ist es seit langer Zeit gang und gäbe, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer ihre Stundenzahl herunterschrauben. Dass es auch in Deutschland ein Umdenken in dieser Frage gibt, ist vor dem Hintergrund der explosionsartig ansteigenden Zahl von Burn-outs und anderer beruflich bedingten Erkrankungen nur folgerichtig.
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