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Buchtipp: Aus Tränen werden Kristalle
Der aktuelle Fall des Allgemeinmediziners, der in Linz und Wien ordiniert und im Verdacht des Kindesmissbrauchs steht, bestätigt Markus Oirer - selbst Missbrauchsopfer -, dass der Umgang mit diesem Thema in unserer Gesellschaft nach wie vor viel zu lasch und gleichgültig ist: "Ich sehe hier Parallelen zu meinem Fall; bereits vor Jahren wurden Anzeigen gegen den Arzt erstattet, denen jedoch nicht ausreichend nachgegangen wurde", so Markus Oirer, der seine Missbrauchsgeschichte in "Aus Tränen werden Kristalle. Abrechnung einer missbrauchten Seele" (erschienen im Goldegg Verlag) aufgeschrieben hat.
In seinem Buch schildert er nicht nur sein persönliches Schicksal, seine Erfahrung mit der Exekutive und dem Missbrauchsrecht, sondern bearbeitet auch die Frage nach der Dynamik von Kindesmissbrauch in unserer Gesellschaft. Das Buch kann online via Amazon bestellt werden.
Die jüngsten Vertuschungsvorwürfe gegen Kardinal Schönborn und die Diskussion einer Anzeigenpflicht bei Missbrauch verfolgt Oirer kritisch; vor vier Jahren, als er seinen Fall vor der Missbrauchskommission der Diözese Linz vortrug, wurde nicht gehandelt, sondern es wurden weitere Zeugen gefordert. Markus Oirer zeigte den Täter an und äußerte dabei seine Befürchtung, dass er sich nach wie vor an Kindern und Jugendlichen vergehen könnte. Seinen Verdachtsmomenten wurde jedoch aus seiner Sicht nicht nachhaltig nachgegangen. Der Täter bewegt sich nach wie vor in Vereinen, in denen er Kontakt zu Kindern und Jugendlichen hat, obwohl der Autor bei seinen Recherchen festgestellt hat, dass offensichtlich viele im Ort die sexuellen Vorlieben und Neigungen dieses Mannes ahnen. Erst heute muss sich der Täter vor der Kommission verantworten.
"Wenn die Gesellschaft nicht beginnt, beharrlich auf Missbrauchsanzeichen zu achten und die Exekutive den Aussagen nicht konsequent nachgeht, werden wir die Frage 'Wie konnte das jahrelang passieren?' immer wieder hören", ist Oirer überzeugt. Der ehemalige Präsident des Jugendgerichtshofs und Mitglied der Klasnic- Kommission Udo Jesionek sagt im Ö1 Journal Panorama-Interview vom 9. Mai 2011 zum Fall von Markus Oirer, wenn Verdachtsmomente bestehen, müsse das Landeskriminalamt ordentlich ermitteln, ohne sich um die Verjährungsfristen zu kümmern.
Die gesetzlich kurzen Verjährungsfristen sind jedoch oft ein Grund dafür, weshalb keine Energie in die Ermittlungen bei bereits länger zurückliegenden Anzeigen investiert wird, kritisiert Oirer. Ein weiterer Aspekt ist der meist höhere gesellschaftliche Status des Täters, dessen Aussage oft mehr Glauben geschenkt wird als der des Opfers. Das zeigt der Fall des oberösterreichischen Arztes sehr gut auf und ist auch in Oirers Geschichte ähnlich gelagert. "Die Unsicherheit von Familie, Nachbarn oder Bekannten der Opfer, aber auch von Politik und Exekutive nützen die Täter aus; sie können jahrelang Kinderseelen zerstören, ohne zur Verantwortung gezogen werden. Diesen Vorgängen trete ich aktiv entgegen, indem ich meine eigene Geschichte zur Verfügung stelle und unermüdlich für unsere Kinder und eine Veränderung in der Gesellschaft kämpfe."
Die ersten Anzeichen von Kindesmissbrauch werden oft verharmlost, oft will die eigene Familie es nicht wahr haben, dass das dem eigenen Kind passieren kann. Damit es nicht passiert, muss man die Augen aufmachen und aktiv werden, wenn man die leiseste Vermutung hat, dass sexueller Missbrauch passieren könnte.
Interview mit Markus Oirer:
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