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Die Presse - Leitartikel: "Jedem kleinen Gast seinen Pass?", von Wolfgang Böhm

Die Grünen fordern eine Staatsbürgerschaft für alle in Österreich Geborenen. Dreist, aber überlegenswert.

Es braucht nicht viel Fantasie: Was würde geschehen, wenn der jüngste grüne Vorstoß für eine Staatsbürgerschaft nach dem Geburtsortprinzip Realität würde? Rasch würde in grenznahen Städten wie Hainburg oder Radkersburg eine Geburtenklinik nach der anderen eröffnen. Sie würden ihren slowakischen, ungarischen oder rumänischen Kunden zu hohen Preisen nicht nur medizinische Betreuung anbieten, sondern für das neugeborene Kind gleich auch einen österreichischen Pass. "Gebären Sie in Österreich und bleiben Sie gleich hier!"

Der Aufschrei gegen den Vorschlag kam denn auch postwendend und hat - so ist zu hoffen - nicht nur mit der latenten Xenophobie der Österreicher zu tun. 90 Prozent aller Länder vergeben ihre Staatsbürgerschaft nach dem Abstammungsprinzip. Und es hat sich bisher durchaus bewährt. Ist eine der Elternteile Inländer, so wird es auch das Kind. Der Vorteil liegt auf der Hand, denn damit wird das heranwachsende Kind in jenem Staat rechtlich verankert, in dem auch seine Eltern verwurzelt sind. Gerade in den Jahren bis zur Volljährigkeit ist das durchaus sinnvoll.

Es gibt gute Argumente, an diesem Abstammungsprinzip festzuhalten. Doch wer annimmt, dass dieses System besser als das Geburtsortprinzip vor Missbrauch schützt, sollte sich die vielen Fälle von Scheinvaterschaften vergegenwärtigen. Ein wachsendes Problem besteht freilich darin, dass immer mehr Väter und Mütter unterschiedliche Staatsbürgerschaften besitzen oder sogar staatenlos sind. Durch die verstärkte Mobilität wächst die Zahl an Kindern, die entweder nirgendwo oder mehrfach verankert sind. Österreich ist da kein Ausnahmefall: Immer öfter haben Eltern eine unterschiedliche Nationalität. Der grüne Vorstoß mag dreist sein, er ist aus rein pragmatischen Gründen dennoch überlegenswert. Denn mit ihm würden viele rechtliche Unstimmigkeiten bereinigt. Die steigende Zahl von Kindern mit Migrationshintergrund, die schon jetzt in Österreich aufwachsen, würden eindeutig an Rechte und Pflichten ihres derzeitigen Lebensmittelpunkts gebunden. Aus rein humanitären Gründen ist es außerdem durchaus überlegenswert, selbst Babys von Asylwerbern, die jahrelang in Österreich auf die Abwicklung ihres Verfahrens warten, einen eindeutigen staatsbürgerschaftlichen Status zu garantieren. Allerdings müsste den Behörden zuvor eine realistische Frist gegeben werden, den Asylantrag der Eltern zu prüfen. Länder wie die USA, Frankreich oder Deutschland sind schon bisher mit dem Geburtsortprinzip "ius soli" gut gefahren. Und auch Österreich sollte sein Staatsbürgerschaftsrecht an aktuelle Gegebenheiten anpassen. In der heimischen Diskussion wird ja gerne alles vermengt. Und viele werden auch jetzt auf die Idee kommen, der Pass für alle hier Geborenen habe etwas mit der notwendigen Zuwanderung zu tun, die einige Politiker derzeit propagieren. Aber das sind zwei paar Schuhe. Lediglich Napoleon Bonaparte bestand einst auf das Prinzip ius soli, um damit für sein geburtenschwaches von zahlreichen Kriegen ausgeblutete Land neue Soldaten, Steuerzahler und Arbeiter zu gewinnen. Heute werden in Österreich gerade einmal 11.000 Ausländer pro Jahr geboren. Damit ist nicht viel zu bewegen. Und es wäre auch sinnlos, diese Zahl durch eine allzu liberale Regelung bewusst zu erhöhen. Denn damit würde nur ein neuer Missbrauch provoziert, mit dem sich dann auch manche Mütter und Väter ein Bleiberecht zu erschleichen versuchen.

Um einem solchen Missbrauch entgegen zu wirken, ist es sowieso notwendig, ein Geburtsortprinzip an Voraussetzungen zu knüpfen. Das ist insbesondere in Österreich notwendig, da hier die Geburt eines "Inländers" im Gegensatz zu den USA auch mit erheblichen Sozialleistungen verbunden ist. Es gibt Beispiele wie Deutschland oder skandinavische Länder, die deshalb ihr modernes Staatsbürgerrecht an strenge Bedingungen geknüpft haben. So verlangt beispielsweise Deutschland für die Verleihung seiner Staatsbürgerschaft, dass sich mindest ein Elternteil bereits über acht Jahre rechtmäßig im Land aufgehalten hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht genießt.

Es wäre durchaus sinnvoll, die österreichische Staatsbürgerschaft in ähnlicher Weise an die aktuellen Gegebenheiten mobiler Gesellschaften anzupassen. Klare rechtliche Verankerungen für jeden Neugeborenen sind notwendig. Die Österreicher-Macher-Klinik in Hainburg will aber niemand.

Quelle: ots

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