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Kind, du fällst mir noch vom Fleisch

Was machen wir eigentlich, wenn unsere Kinder wissen wollen, ob und wie die drei kleinen Schweinchen auf ihre Teller gekommen sind. Flunkern oder Tacheles? Und gibt es auch noch irgendetwas dazwischen?

Kindern erklären woher Fleisch kommt

„Ist da Fleisch drin?“ Das fragt mich mein Fünfjähriger jetzt vor jeder Mahlzeit – so als ob er nicht glauben könnte, dass ich ihn wirklich darin unterstützen will, sich vegetarisch zu ernähren. Oder um es präziser zu formulieren pescetarisch. Aber der Reihe nach: Seit knapp 2 Jahren weiß mein kleiner Mann, dass abgepackte Schnitzel aus dem Supermarkt nicht auf Bäumen wachsen. Man gräbt sie auch nicht aus der Erde oder schlägt sie aus Gestein. Fleisch, das gehörte einmal zum Körper eines lebenden, atmenden Tieres. Damit wir dieses Fleisch essen können, wird das Tier getötet, geschlachtet und verarbeitet. Mein Sohn hat mich danach gefragt und ich hab ihm geantwortet. Einige meiner Freunde fanden das weniger gut und waren der Auffassung, ich würde ihm damit Informationen anbieten, die er nicht verkraften kann. Selbstverständlich ist das möglich, aber ich bemühe mich zum einen grundsätzlich nach dem Prinzip zu verfahren, dass eine entsprechend formulierte Frage auch eine Antwort verdient, und habe zum anderen kein Interesse daran, dass jeden und jede betreffende Thema der Ernährung zu einem Randthema zu verklären.

Statt also meine Kinder beispielsweise übermäßig vor bösen fremden Menschen zu warnen, mit denen sie hoffentlich und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht viel zu tun haben werden, rede ich lieber über Dinge, die sie tatsächlich und tagtäglich betreffen. Und wenn Ihre Kinder auch Spagetti Bolognese und Chicken Nuggets lieben, dann betrifft es sie eben. Meine Tochter verfügt über die gleichen Informationen wie mein Sohn und hat sich entschieden, weiterhin Fleisch zu essen. Mein Sohn hingegen hat mich monatelang bearbeitet, sich vegetarisch ernähren zu dürfen. Warum musste er mich bearbeiten? Nun, zunächst einmal bin ich in der Hauptsache für seine Ernährung zuständig und trage daher auch die Verantwortung für sein Essen und seine damit verbundene Gesundheit. Kinder, die sich noch im Wachstum befinden, können nicht mal eben so auf die Schnelle auf vegetarische Ernährung umgestellt werden – zumal mein Sohn sich am liebsten vegan ernähren würde. Das will gut überlegt sein und sollte nicht auf Kosten der Kinder als Politikum missbraucht werden.

Darüber hinaus ist es eine ziemliche Herausforderung, in einem 4-Personen-Haushalt für jemanden vegetarisch mitzudenken, wenn er der Einzige ist, der sich vegetarisch ernährt beziehungsweise vegetarisch ernährt werden will. Und zuletzt will man als Eltern ja auch nicht jeden Unfug der Kinder mitmachen. Aber kann man das wirklich als Unfug bezeichnen, wenn die eigenen Kinder mit entsprechender Konsequenz eine Haltung aufbauen, die man moralisch für sehr begrüßenswert hält? 

Wegen all dieser Punkte ist mein Sohn Pescetarier. Ich wollte sehen, ob ihm wirklich etwas daran liegt und es nicht bloß ein kurzfristiger Spleen ist – daher erst jetzt. Und wir haben uns darauf geeinigt, dass er bis auf weiteres auch Fisch isst. Seit einigen Monaten zieht er das mit großer Ernsthaftigkeit durch. Manchen Eltern scheint das nicht zu schmecken. Sie machen auf mich den Eindruck, als würden sie meinen kleinen Kerl belauern, um ja nicht den Moment zu verpassen, wenn er seine Ernährungsgrundsätze aufgibt. So erzählen sie ihm zum Beispiel genüsslich, dass in Gummibärchen Tiergelatine enthalten ist und wirken ziemlich enttäuscht, wenn er infolgedessen auf gelatinefreie Süßigkeiten umschwenkt. Aber es ist wohl auch nicht ganz einfach, sich moralisch von einem Fünfjährigen etwas vormachen zu lassen. Ich jedenfalls esse weiterhin Fleisch und bemühe mich, es genauso bewusst zu tun, wie mein Sohn darauf verzichtet. Ich versuche wann immer möglich auf regionale Bioprodukte zurückzugreifen. Und natürlich will ich nicht vor jeder fleischhaltigen Mahlzeit daran denken, was da für mich wie hingeschlachtet wurde. Trotzdem sollte man sich darüber im Klaren sein, was Massentierhaltung genau bedeutet oder es sich bei Gelegenheit einmal anschaulich erklären lassen. Vielleicht folge ich ja eines Tages dem Beispiel meines Sohnes nach. Bisher schmeckt es ihm und häufiger mal für alle vegetarisch zu kochen ist grundsätzlich eine gute Idee. In diesem Sinne guten Appetit!

PS:
Das absolut Ekelhafteste, was mir in diesem Zusammenhang an Fleischindustrieverleugnung einfällt, ist für mich die sogenannte Gesichtwurst. Ob man ein Lebewesen töten und verzehren darf, darüber kann man geteilter Meinung sein, sogar innerhalb einer Familie. Dass man jedoch etwas, das mal ein Gesicht besessen hat durch den Fleischwolf dreht, um anschließend ein Gesicht daraus zu formen, damit es ansprechender für Kinder wirkt, ist einfach widerlich.

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Über den Autor: Nils Pickert ist gebürtiger (Ost-)Berliner, lebt und arbeitet als freier Autor und Texter in Süddeutschland. Er ist passionierter Koch und Vater zweier Kinder.

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