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Nicht mehr als Gesicht zeigen

Wissen Sie eigentlich was Revenge Porn ist? Falls nicht, wird Ihr Kind es vielleicht eines Tages auf die harte Tour lernen müssen. Zeit, sich den Internetdreck mal genauer anzuschauen und nicht nur unter den Teppich zu kehren.

Cybermobbing

Ich muss diesen Text mit einem Ratschlag beginnen, den ich meiner jungen Schwägerin gegeben habe, als es zwischen ihr und dem Jungen ihrer Wahl zum ersten Mal ernst wurde: Lass dich niemals, wirklich niemals von deinen Sexualpartnern oder Sexualpartnerinnen nackt fotografieren oder gar beim Sex filmen! Warum muss ich das? Leider gibt es dafür zahlreiche Gründe.
Da wo ältere Generationen eine gewisse, gelegentlich auch unbegründete Skepsis gegenüber den neuen Medien empfinden, mangelt es Jugendlichen oft an Vorsicht. So fällt es ihnen schwer, überhaupt die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die erste große Liebe ihnen irgendwann einfach nur noch schaden will. Leider ist das Internet voll mit Bildbeispielen, dass es so ist.

Jugendliche, vor allem Mädchen, werden dort an den Pranger gestellt oder stellen sich unvorsichtigerweise in sozialen Netzwerken selbst an den Pranger. Denn beste Freunde müssen nicht zwangsläufig beste Freunde bleiben. Die Sicht auf das eigene Leben und die Ansprüche der Darstellung desselben können sich verändern.
Leider lassen sich virtuelle Fauxpas inzwischen kaum noch ungeschehen machen. Wenn Sie in einer kleinen Gemeinde leben oder großgeworden sind, kennen Sie das vielleicht. Gerüchte verbreiten sich schnell und halten sich lang. Wenn es ganz schlimm wurde, ist man halt weggezogen. Mittlerweile verbreiten sich diese Gerüchte jedoch noch schneller und halten sich vermittels Copy & Paste noch länger. Wenn Sie also in ihrer neuen Umgebung angekommen sind, wartet das Gerücht dort schon auf Sie. Es vervielfacht sich, es lagert sich ein und wartet auf eine soziale Interaktion, in der es Ihnen so richtig peinlich ist und alles verbaut.

Denn die Selbst-oder Fremddarstellung im Internet ist wie eine Tätowierung. Viele folgen nur einem Trend, nach einiger Zeit sieht sie nicht mehr so aus, wie man es eigentlich gerne hätte und man wird sie nur sehr schwer wieder los. Falls man es schafft, bleiben Flecke oder Narben zurück. Und bei Bewerbungsgesprächen ist es in jeder Version nicht hilfreich.
Wie aber schütze ich meine Kinder davor, im Internet zu viel von sich preiszugeben? Soziale Netzwerke wie Facebook sind geradezu darauf ausgelegt, mehr als nur Gesicht zu zeigen. Sie bieten Jugendlichen an, sich über die Preisgabe von persönlichen Informationen zu vermarkten. Meine Urlaubsdias, meine Hobbys und mein Poesiealbum – das war gestern. Heute sind es mein Ausschnitt beim Tanzen, mein Absturzvideo und mein schlafender One-Night-Stand von letzter Nacht.

Damit wird Meinung gemacht, damit wird sich sichtbar und wichtig gemacht, das wird geliked oder gehated. Wenn Institutionen oder politische Regime von einem Shitstorm überzogen werden, ist das die eine Sache. Wenn das jedoch mit einzelnen Menschen geschieht, mit ihrem Kind, dann ist das etwas völlig anderes.

Nichts bleibt abstrakt, alles bleibt hängen. Cyber-Mobbing ist deshalb so perfide, weil es global ist, anonymisiert und jederzeit reaktiviert werden kann.

Verbote helfen da nichts. Ihr Kind hat ein Recht darauf, mit anderen zu kommunizieren, und es wird dieses wahrnehmen – mit oder ohne ihr Wissen. Früher hat man stundenlang heimlich telefoniert, obwohl man sich gerade erst in der Schule gesehen hatte. Heute aktualisiert man ständig seinen Status. Zur Not auch von den Computern und Handys der Freunde.
Sie werden mit ihrem Kind reden müssen. Auch wenn Sie die neuen Medien nicht interessieren und sie soziale Netzwerke für globale Geplapperrekorder halten – beschäftigen Sie sich damit und nennen sie die Dinge beim Namen: Es gibt Leute, die dich im Netz versuchen mit falschen Identitäten zu manipulieren. Es gibt Geschichten und Bilder, die das Internet nicht gegen dich in der Hand haben sollte. Und sich beim Sex filmen zu lassen, lohnt sich nicht. Man meint immer, man würde es sich später gerne anschauen, um sich in Stimmung bringen zu lassen. Aber in den Situationen, wo man daran denkt, ist man längst in Stimmung und hat anderes zu tun. Das Material liegt also rum … und wartet auf einen Verwendungszweck.

Daher werde ich diesen Text mit einem Ratschlag beschließen müssen, den ich meiner jungen Schwägerin gegeben habe, als es zwischen ihr und dem Jungen ihrer Wahl zum ersten Mal ernst wurde: Lass dich niemals, wirklich niemals von deinen Sexualpartnern oder Sexualpartnerinnen nackt fotografieren oder gar beim Sex filmen!

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Über den Autor: Nils Pickert ist gebürtiger (Ost-)Berliner, lebt und arbeitet als freier Autor und Texter in Süddeutschland. Er ist passionierter Koch und Vater zweier Kinder.

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