Magazin
Von Feigen und Einschlägen
Wenn nichts mehr hilft, wird durchgegriffen – beziehungsweise angegriffen. Manche Eltern halten Gewalt immer noch für ein probates Erziehungsmittel und schlagen zu. Dabei müssten sie es eigentlich besser wissen. Wenn ich die in die Finger kriege…
Seitdem ich mich in Süddeutschland aufhalte, machen Eltern gelegentlich mir gegenüber deutlich, dass sie ihre Kinder schlagen. Vielleicht weil die Lebensumstände hier etwas konservativer sind als in der liberalen Großstadt. Und sie sagen es mir nicht etwa weil wir uns besonders vertraut sind und sie mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit offenbaren wollen, was ihr Gewissen quält, sondern mit sonderbarer Beiläufigkeit und ohne das Gefühl, sich selbst damit zu diskreditieren. Beim Elternabend etwa, wenn man sich in geselliger Runde über die Schulsituation der Kinder austauscht über Erziehungsmethoden und Neuigkeiten. Da erfahre ich dann, dass die eine ihren Sohn vor versammelter Mannschaft, schlägt und wie unerhört das ist. Dass man selbst zwar auch gelegentlich Ohrfeigen verteilt, aber in aller Öffentlichkeit macht man das einfach nicht.
Aha. was man nicht an Geduld im Kopf hat, hat man an Kraft in der Hand. Ich dachte ja bisher, Gewalt gegen Kinder sei so ein Fall, wo man sich darauf geeinigt hätte, keine Ausnahmen zuzulassen. Einfach weil die Möglichkeit von Ausnahmen immer auch den Verhandlungsspielraum für ihre Qualität und Quantität bietet. Und das sind Dinge, die in diesem Fall nicht zur Verhandlung stehen dürfen. Wo soll das hinführen? Zu feigen Erwachsenen und ängstlichen Kindern?
Verstehen Sie mich nicht falsch: Niemand ist davor gefeit, an seine Grenzen und darüber hinaus getrieben zu werden – Eltern schon gar nicht. Deshalb hege ich auch ein gewisses Maß an Verständnis für den Berliner (ich kann hier ja nicht nur auf Süddeutschen rumhacken) Vater, der seiner vierjährigen Tochter zwei Ohrfeigen dafür verpasst hat, dass sie ihm auf dem Wochenmarkt davongelaufen und anschließend im Auto auch noch frech gekommen ist.
Und Eltern sollten sich und anderen die Möglichkeit einräumen, nach einmaliger Gewaltanwendung wieder zu dem zurückzufinden, was sie erziehungstechnisch eigentlich für den Rahmen der Möglichkeiten halten, ohne auf diesen Vorfall zu reduzieren. Trotzdem halte ich die Verurteilung dieses Vaters aufgrund der Anwendung von Paragraf 1631 BGB für richtig.
Denn über diesen Einzelfall hinaus ist und bleibt die Frage: Wie kommen Eltern eigentlich darauf, es könnte in Ordnung sein, ihre Kinder mit unschöner Regelmäßigkeit als Erziehungsmaßnahme derartig zu verletzen? Glücklicherweise muss ich mir die Antworten auf diese Frage nicht selbst vorstellen. Die Zeitschrift Eltern hat zu diesem Thema 2012 eine Studie erheben lassen, in der die Befragten als Hauptgründe für die Anwendung körperlicher Gewalt angaben, „dass ihre Kinder unverschämt gewesen seien, nicht gehorcht oder sich aggressiv verhalten hätten“.
Stellen Sie sich das unter Erwachsenen vor: Nächstes Mal, wenn sie einem Kellner (un)beabsichtigt das landesübliche Trinkgeld verweigern, scheuert der Ihnen eine, weil ihm Ihre Unverschämtheit einfach zu viel ist. Wenn mein Bruder mir nicht bald die Wickie DVDs für meinen Sohn borgt, kriegt er ein paar auf den Arsch, weil er mir nicht gehorcht hat. Und wenn ich meiner Lebensgefährtin aggressiv begegne, weil ich einen anstrengenden Tag hatte und noch nicht auf Zuhause umschalten konnte, dann setzt es was von ihr. Aber so richtig.
Nun sind sowohl mein Bruder als auch meine Lebensgefährtin ausgesprochen friedfertige Menschen, die mir meine konstruierten Beispiele verzeihen werden. Diese Beispiele sind aber wichtig, weil man allerorten als Begründung immer wieder lesen und hören muss: Das kommt in den besten Familien vor. Ach tatsächlich?! Es sind wohl doch nicht die familiären Bande sondern ganz direkt unsere Kinder. Es gibt Momente, da lehnen sie unsere Verantwortlichkeit und unsere Erziehung so umfassend und vollständig ab wie wir diese Dinge empfinden. Sie lehnen sich auf und uns ab. Sie setzen uns außer Kraft. Und manch einer ist dann versucht, sich mit allen Mitteln wieder zu bemächtigen. Denn das Kind muss doch endlich einsehen und verstehen. Es muss doch …
Nein, muss es nicht! Und überhaupt: Was soll an Gewalt zu verstehen sein? Etwa die elterliche Hilflosigkeit gegenüber dem Kind, die momentane familiäre Überlastung oder der Stress auf der Arbeit? Mag sein, dass Gewalt als Verlockung, sich mit einem Schlag zumindest für einen kurzen Moment seiner Probleme zu entäußern, auf der Hand liegt. Aber nichts davon kommt beim Kind an. Gewalt spricht nicht, sie schreit. Gewalt erklärt nichts, sie würgt ab. Gewalt stellt nichts richtig, sie schüttelt durch. Sie klärt nicht sondern verstört.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen wie mir die Kraft, die Verantwortung für ein Kind immer einen Tick stärker zu empfinden als das Kind sie ablehnt. Und den Schneid, sich mit genug Scham und Willenskraft auf die Hände zu schauen, wenn man mal danebengelangt hat – in das Gesicht des eigenen Kindes.
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Über den Autor: Nils Pickert ist gebürtiger (Ost-)Berliner, lebt und arbeitet als freier Autor und Texter in Süddeutschland. Er ist passionierter Koch und Vater zweier Kinder.
Magazin Tags: