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Work-Family-Balance: eine Illusion, von Martina Salomon
Es fehlt in Österreich nicht am Geld, sondern am Bewusstsein für eine kinderfreundliche Gesellschaft. Soll es künftig eine "Ehe light", Änderungen bei der gemeinsamen Obsorge, mehr Väter in Karenz und Frauenquoten für Führungspositionen geben?
Die Politik diskutiert derzeit wieder über Familienpolitik. Doch in einer Großen Koalition fallen die Antworten darauf so gut wie nie einheitlich aus. Was dabei meist überhaupt ausgeblendet wird, ist die Situation der Kinder. Und eine besonders heikle Frage, die in Deutschland vor einiger Zeit groß, bei uns aber noch nie offen besprochen wurde: Gibt es möglicherweise zu viele Anreize für sozial schwache Familien, Kinder in die Welt zu setzen - und für die Mittelschicht zu wenig?
In Deutschland wie in Österreich hat man nun das einkommensabhängige Karenzgeld eingeführt, das auch Vätern die Kinderbetreuung schmackhaft machen sollte. Doch die Zahl der Männer, die sich eine Baby-Auszeit nehmen, ist verschwindend gering. Gerade mal fünf Prozent beträgt sie in Österreich. (Wobei die, die sich darauf einlassen, oft riesigen Gesprächsbedarf dazu haben - und Bücher über etwas schreiben, was bei Frauen als Normalfall gilt.)
Betrachtet man die heimischen Vorzeigefrauen, so haben fast alle auf Kinder - bewusst oder unbewusst - verzichtet. Gut ausgebildete Frauen kapitulieren oft vor den realen - oder vermeintlichen - Hürden: Wer daheim beim Kind bleibt, läuft Gefahr, sich vom Berufs- wie Konsumleben abzukoppeln und macht sich vom Partner abhängig. Wer schnell wieder voll arbeitet, ist von schlechtem Gewissen gegenüber den Kleinen geplagt. Eine No-win-Situation.
Zumindest finanziell hat die Politik das Kinderkriegen in Österreich sehr gut ausgestattet - und nun beginnt sie auch endlich damit, die öffentliche Kinderbetreuung zu verbessern. Aber längst geht es nicht mehr in erster Linie ums Geld, sondern eigentlich ums Bewusstsein: Wenn öffentlich immer nur von Kindern als Problem gesprochen wird, warum wundert man sich dann, wenn das babyverhindernd wirkt? Wenn "Heim an den Herd" als Schreckensruf gilt, warum sollten es dann Männer cool finden, eine Zeit lang beim Kind zu bleiben? Wenn ständig Teilzeitjobs als Frauenfalle an den Pranger gestellt werden, warum sollten Firmen und Eltern das als attraktive Alternative empfinden, um Familie und Job unter einen Hut zu kriegen? Work-Family-Balance ist in Österreich leider ein Fremdwort: Wenn die Kinder klein sind, dann sollte, wer beruflich weiterkommen will, auf Teufel komm raus arbeiten.
Aber wenn die Kinder groß sind - also so gegen fünfzig plus -, sollen sich die Frauen gefälligst wieder vom Arbeitsmarkt schleichen. Dann ist "Heim an den Herd" plötzlich gesellschaftlich akzeptiert, ja geradezu herbeigesehnt, siehe Hacklerregelung und die Verteidigung des "Rechts" auf Frühpension. Aber das ist doch ziemlich unsinnig und für immer mehr Menschen auch unwürdig!
Und wo bleiben die Kinder? Sie rücken erst ins Blickfeld der Politik, wenn Ehen zerbrechen. Richter sind wahrlich nicht zu beneiden, wenn sie in den Schlammschlachten entscheiden müssen, die da oft toben. In diesen Fällen wird von den streitenden Eltern nicht selten Geld gegen Kinderbesuchsrecht ausgespielt. Eine gemeinsame Obsorge, das wünschenswerte Modell für die Kinder, schaffen meist nur jene Paare, bei deren Trennung nicht die verletzten Gefühle dominieren. Der Vorschlag der Familienrichter, eine außergerichtliche Schlichtungsstelle zu schaffen, die zum Beispiel die Obsorge regelt, ist daher wahrscheinlich vernünftig, aber wohl auch eine Frage der budgetären Mittel.
Aber dass die von der Frauenministerin diskutierte "Ehe light" - als Zwitter zwischen verheiratet und unverheiratet - mehr Verantwortung beider Elternteile für die gemeinsamen Kinder bringen könnte, ist zu bezweifeln. Die "normale" Ehe ist nicht so schwierig, dass wir sie leichter machen müssten.
Gänzlich ratlos ist die Politik, wie man den viel zitierten "Mut zum Kind" machen könnte. Die Maßnahmen der letzten Jahre haben nicht wirklich gefruchtet. Internationale Vergleiche zeigen aber, dass es eher die öffentlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten sind und weniger die Direktzahlungen, die Frauen (und Männer) dazu bringen, Kinder zu bekommen. Dort - etwa in Frankreich oder Schweden - gelten außerdem größere Familien als "Normalfall". In Österreich scheint das Bewusstsein verloren gegangen zu sein: Kinder sind nicht nur Last, sondern auch Freude und Sinnstiftung.
Quelle: Die Presse Leitartikel/ots
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