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Ein paar Worte über Mobbing
Mobbing ist furchtbar, Mobbing ist schlecht. Alle wissen das, alle sprechen darüber. Manche sogar in Versen. Trotzdem scheinen wir der Lösung des Problems nicht näher zu kommen. Woran liegt das?
Kolumne | Nils Pickert
Kürzlich habe ich an anderer Stelle ein paar Worte über Mobbing, Hate-Speech und Diskriminierung verloren. Der Text war alles andere als vorsichtig und im Großen und Ganzen ziemlich bösartig. Ich habe einfach vor längerer Zeit die Geduld mit Menschen verloren, die sich die Freiheit herausnehmen, andere zu benennen und zu bezichtigen wie sie wollen, sich aber jede Form von Beschimpfung oder Unhöflichkeit verbieten. Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich finde Leute, die austeilen aber überhaupt nichts einstecken können, hochgradig unsympathisch. Trotzdem hätte man so einen Text auch anders schreiben können.
Der kanadische Dichter Shane Koyczan ist das Thema beispielsweise in einer so poetischen und eindringlichen Weise angegangen, dass Abermillionen Menschen sein To this day project auf YouTube angeklickt haben. Zu den Bildern von befreundeten Künstlern trägt Koyczan sein Gedicht vor, in dem er davon erzählt wie Spitznamen, Beschimpfungen, Beleidigungen und Erniedrigungen Kinder und Jugendliche quälen, so dass sie noch in ihrem Erwachsenenleben davon verfolgt werden, obwohl sie sich scheinbar längst über diese Dinge erhoben haben. Mobbing, so zeigt dieses Gedicht, ist das neuzeitliche Teeren und Federn, das als Vorgang der sichtbaren Schändlichmachung nie wieder vollständig zu entfernen ist. Die Verletzungen bleiben. Oder wie Koyczan es ausdrückt: „Erzählt mir nicht, so etwas tut weniger weh als gebrochene Knochen!“
Überall auf der Welt reagieren junge Menschen auf dieses Gedicht. Sie brechen in Tränen aus, erzählen über ihre Mobbingerfahrungen in der Kindheit oder beginnen Unterstützungsaufrufe für das Projekt immer mit dem gleichen Satz: „Als jemand, der selbst leider schlimme Mobbingerfahrungen machen musste,…“
Doch bei allem Respekt und aller Bewunderung, für das was Shane Koyczan geschaffen und bewirkt hat - die wichtigsten Fragen bleiben unbeantwortet:
Wenn sich alle über Mobbing und die schlimmen Folgen einig sind, wenn scheinbar jeder selbst Formen des Mobbings erleiden musste und sich von dem Gedicht als Opfer angesprochen und berührt fühlt: Wo sind dann die Täterinnen und Täter?
Wenn es alle anwidert und jeder nur noch möchte, das es aufhört: Wer macht dann so etwas?
Die Antwort auf diese Fragen ist immer dieselbe und führt uns näher an die Wahrheit aber gleichzeitig weiter weg von diesem kraftvollen Gedicht: Wir machen so etwas. Ich tue das oder habe es getan. Ich wurde gemobbt und habe gemobbt. Ich wurde beschimpft, erniedrigt und ausgelacht. Und ich habe Menschen, die dicker, kleiner oder weniger schulisch erfolgreich waren beschimpft, erniedrigt und ausgelacht. Aller Wahrscheinlichkeit nach hängen diese beiden Komplexe sogar zusammen und zwar in dem Sinne, dass man sich als Opfer in den seltensten Fällen gegen die Leute, die mobben, zur Wehr setzen kann, und also den ganzen Frust und den Ärger an anderen auslässt, die mit dem Initialgeschehen gar nichts zu tun hatten.
Nach oben wird erlitten und nach unten erniedrigt. Erst wenn man sich darüber im Klaren ist, fängt man an, sich darüber Gedanken zu machen, was diese Form der Mobbingkette für Kinder und Jugendliche bedeutet, die sich weigern oder außer Stande sehen, anderen zuzufügen, was sie selbst zu ertragen haben. Was passiert mit denen, die von allen ausgelacht werden und die niemanden auslachen wollen oder können? Wie gehen wir als Gesellschaft mit den Schwächsten unserer Gemeinschaft um?
Als Erwachsener, ganz besonders als Vater, bin ich Teil dieser Gesellschaft und kann mir nicht länger wie als Jugendlicher einreden, nicht dazuzugehören und/oder nach meinen eigenen Regeln zu leben. Als Erwachsener ist es meine Aufgabe, dass schnell empfundene, rasch geklickte „Euer Mobbing kotzt mich an“-Gefühl mit Sinn zu füllen. Euer Mobbing kotzt mich deshalb an, weil mich mein Mobbing ankotzt. Es ist unser Mobbing, unser Fehlverhalten, unser Versagen, das sich ändern muss. Es wird sich nicht dadurch ändern lassen, dass wir immer wieder betonen, genug erlitten zu haben. Wir müssen dazu stehen, zu viel getan zu haben.
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Über den Autor: Nils Pickert ist gebürtiger (Ost-)Berliner, lebt und arbeitet als freier Autor und Texter in Süddeutschland. Er ist passionierter Koch und Vater zweier Kinder.
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