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Meuterei
Von Prinzessin Lillifee haben Sie wahrscheinlich schon einmal gehört. Weil wir Erwachsenen uns inzwischen gelegentlich dem Dauerkonsum verweigern, gerne auf Flohmärkten stöbern oder auf Ebay nach dem H&M Oberteil aus der Vorjahreskollektion suchen, dass uns damals einfach zu teuer war, müssen seit geraumer Zeit unsere Kinder dran glauben. Die haben nämlich kaum oder gar keine Mechanismen, um Gruppendruck, Werbeversprechungen oder Konsumzwang etwas entgegenzusetzen. Wenn Sie wissen wollen wie sich das anfühlt, genießen sie doch mal ein paar Minuten den Werbeblock eines Kinderfernsehkanals: In Hochgeschwindigkeit brüllen da herbe Männerstimmen aus dem Off etwas über ultimative Kicks für Jungen, und den Mädchen säuseln piepsige Sprecherinnen etwas darüber vor, wie gut sie es haben könnten, wie schön und beliebt sie sich fühlen würden sie sie nur… KAUFEN! Oder vielmehr kaufen lassen.
Wenn Sie auf diese Zumutung verzichten wollen, dann erinnern Sie sich einfach an ihre eigene Kindheit. Haben Sie etwa nicht mit anderen über Fernsehsendungen gesprochen, die Sie nie gesehen haben und nur aus den Erzählungen von Dritten kannten? Haben Sie etwa nicht in einem fiesen Kauderwelsch-Englisch angesagte Poplieder nachgesungen und Starschnitte gesammelt? Na und wenn Sie das nicht gemacht haben, dann war es etwas anderes in der Art.
Unsere Gesellschaft umwirbt Kinder als Konsumenten nicht erst seit gestern. Der ganze Zweig der Kinder- und Jugendliteratur ist beispielsweise nicht zuletzt deshalb so angeschwollen, weil man irgendwann gemerkt hat, was in diesem Sektor zu holen ist. Mit den Kleinen und nicht mehr ganz so Kleinen ist also ordentlich Geld zu verdienen. Und deshalb haben sich auch die Methoden, mit denen kindlicher Konsum angeregt und manipuliert wird vervielfacht. Diese Methoden wirken auch auf uns Erwachsene. Wir folgen ihnen oder lehnen sie ab – in jedem Fall binden sie unsere Aufmerksamkeit. Deshalb finden sich landauf, landab sehr kluge Artikel über die Pink Industry mit ihren Aushängeschildern wie Prinzessin Lillifee. Besorgten Beobachterinnen und Beobachter mit feministisch geschultem Blick fällt glücklicherweise auf, was diese Produktwelt mit unseren Kindern macht. Unglücklicherweise starrt man dabei nur auf die halbe Produktwelt, in der anderen wird ungestört weiter daran gewerkelt, Kinderherzen mit stereotypen Ideen zu erobern und die elterlichen Geldbeutel mit ausgefeilten Produktketten zu leeren. Falls sie an dieser Stelle nicht wissen, wovon ich rede, dann kann das nur daran liegen, dass sie entweder nichts mit Kindern zu tun haben oder sich zu wenig über Käpt'n Sharky aufregen. Ja genau, Käpt'n Sharky. Prinzessin Lillifee für Jungen. Im Windschatten der Pink Industry existiert eine Blue Industry, die kaum angegangen oder kritisiert wird, weil stereotypes Verhalten an Jungen noch beiläufiger und unwiederbringlicher vermittelt wird. So wollten die Eltern der ersten Klasse meiner Ältesten externe Schulungsmaßnahmen für Interessierte finanzieren und hatten sich auch schon ein ganz wichtiges Thema ausgedacht, zu dem sie gerne Beratung gehabt hätten: Jungs und Disziplin! Auf meine Nachfrage, wie dieses Anliegen denn zustande gekommen sei, folgte ein allgemeines, geschlechtsübergreifendes Augenrollen: Jungs sind eben so.
Jungs sind eben Käpt'n Sharky. Eltern mit Kindern im entsprechenden Alter werden wissen, wovon ich spreche. Wann hat das eigentlich angefangen? Diese andauernden Piratenpartys mit Schatzsuche zu der selbstverständlich nur Jungen und vielleicht noch das eine Mädchen eingeladen werden, auf dem die Eltern bestehen, weil Sohnemann es schon aus der Krabbelgruppe kennt. Das ganze stilecht mit selbstgebastelten Piratenhüten, Augenklappen, Entermessern und Handhaken. Vielleicht übertreibe ich aber auch. Immerhin geht es in den Sharky Geschichten auch um Freundschaft und darum, dass man sich nicht zu schämen braucht, wenn man Angst hat. Beides Dinge, über die ich mich freue, wenn sie meinem Sohn vermittelt werden. Und meine Tochter könnte von Prinzessin Lillifee über die gleichen Dinge aufgeklärt werden. Statt die Dinge unnötig zu verkomplizieren, könnten wir unsere Kinder als Sharkys und Lillifeen aufwachsen lassen. Jungs wären Jungs und Mädchen wären Mädchen. Und wir hätten auch unsere Ruhe. Mutti macht sich weiterhin jeden Morgen hübsch und Papa schwärmt für Captain Jack Sparrow.
Dass die ganze Sache alles andere als einfach ist, merken Sie vielleicht, wenn Sie versuchen, ihrem Sohn die Fragen zu beantworten, die er zu Piraten hat?
Wieso tragen Piraten Augenklappen, Holzbeine und Handhaken?
Was ist der Unterschied zwischen Piraten, Räubern, Dieben und Mördern?
Gibt es heute noch Piraten?
Aber klar mein Junge, die gibt es. Vor der Küste Somalias überfallen sie Schiffe, nehmen Leute gefangen und verlangen Lösegeld, weil man den Einheimischen seit über 20 Jahren durch illegalen Fischfang und Giftmüllverklappung die Lebensgrundlage raubt. Wie im Fernsehen, mein Junge. Sie riskieren ihr Leben, werden gejagt und töten. Warum sollte ich nicht wollen, dass du so wirst wie sie?
Für meinen Jungen wünsche ich mir etwas anderes. Um bei der Sache zu bleiben – ich hoffe, dass er mit mir gemeinsam gegen diesen ganzen Unfug meutert. Sowohl Giftmüllverklappung auf der einen als auch brutale Geiselnahme auf der anderen Seite scheinen mir nicht die geeigneten Blaupausen für männliche Identität. Und ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich bin dankbar für den perfekten, unversehrten Körper meines Sohnes. Amputationen und fehlende Augäpfel kommen leider vor. Aber Männlichkeit durch Versehrtheit? Nein danke, dann lieber Meuterei.
Für andere kann ich nicht sprechen. Anderen Leuten mag das Piratenleben schmecken. Na dann: Trinkt aus, Piraten, Yo-ho!
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Über den Autor: Nils Pickert ist gebürtiger (Ost-)Berliner, lebt und arbeitet als freier Autor und Texter in Süddeutschland. Er ist passionierter Koch und Vater zweier Kinder.
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