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Verhalten in Notfallsituationen

Es ist passiert! Trotz aller Fürsorge, Vorsicht und Vorbeugung (und vielleicht sogar unserer Helikopter-Eltern-Eigenschaft), befinden wir uns plötzlich in einer Situation, in die wir niemals kommen wollten – einer Notfallsituation. Hier ist es ganz wichtig sich damit auseinanderzusetzen wie man sich verhalten sollte, wenn es dem eigenen Kind schlecht geht und es Schmerzen, Wunden oder Schlimmeres hat und auch wie man mit extrem aufgeregten anderen Personen, im Raum, umgehen kann.

Verhalten im Notfall

Ganz am Anfang ist es wichtig Ruhe zu bewahren und diese auch auszustrahlen. Es bringt nämlich weder mir noch meinem Nachwuchs etwas, wenn ich wie ein aufgescheuchtes Huhn, im Kreis durch das Zimmer laufe, anfange zu hyperventilieren und dann vielleicht sogar selber professioneller Hilfe bedarf. Wer kümmert sich dann, in genau dieser Zeit, um mein Kind? Im besten Fall: Papa/Mama oder eine andere Person, die gerade mit dabei ist. Und im schlimmsten Fall? – Richtig! Niemand!

Ich muss mir vor Augen führen und bedenken, dass sich meine Aufregung auch auf mein Kind überträgt und so kann auch schon aus einem kleinen Wehwehchen, das mit einem Pflaster erledigt wäre, eine ganz große Sache werden. Versetzen wir uns einfach in die Lage des Kindes (und wir machen das jetzt an einem simplen Beispiel fest): Uns geht es „schlecht“, nicht sterbend schlecht, aber schlecht und die nächste Bezugsperson, die wir haben, stellt sich vor uns, sofern Sie denn noch vor lauter Aufregung stehen kann, und guckt uns, mit dem noch so kleinen Dilemma, an. Sie fängt daraufhin an schneller zu atmen, läuft vielleicht rot an und dann schießen ihr auch noch Tränen in die Augen. Was würde ich dann in diesem Moment empfinden? – Wenn ich die Schmerzen habe und es mir schlecht geht, aber „die“/“der“ guckt sich das nur kurz an und steht selbst kurz vor einer Panikattacke, dann muss das Ganze nicht nur schlimm sein, NEIN, ich stehe kurz vor dem Exodus. Und dann beginnt eine fast undurchdringbare Kaskade: Ich rege mich mehr auf, weil mein Gegenüber sich aufregt und ich denke, dass die Situation schlimmer ist als angenommen. Mein Gegenüber regt sich mehr auf, weil ich mich mehr aufrege und ich ihm damit signalisiere, dass es mir noch schlechter geht als eben gerade. Das Ergebnis ist ein unendliches Tennisspiel ohne Punktgewinn!

Das war jetzt natürlich ein wenig auf die Spitze getrieben, aber es beschreibt ganz gut das was in unseren Kindern, in einer solchen Situation, vorgeht. „Wenn Mama/Papa gerade deswegen so am Rad drehen, dann muss es wirklich schlimm um mich bestellt sein…“ Und so geht es nicht nur dem Teenager, denn wir unterschätzen häufig die Auffassungsgabe unserer Kleinen und sagen sie dafür älteren Kindern nach, so geht es auch schon den Kleinsten. Als Menschen sind wir nämlich in der Lage Emotionen, Schmerzen und vieles andere („Synchrongähnen“ zum Beispiel), unabhängig von unserem Alter, nachzuempfinden. Nicht umsonst zieht es in der Magengrube, wenn wir vielleicht gerade sehen, wie unser Nachbar, unachtsam wie er manchmal ist, auf einer unpassenden Höhe in einen Pfeiler läuft und dann, mit den Händen im Schoss sowie schmerzverzerrtem Gesicht, zusammensinkt. Nicht umsonst fangen Kinder an zu weinen, wenn wir als Eltern uns gerade „zoffen“ und der Tonfall einmal nicht so ist wie er es normalerweise wäre – Kinder kriegen eine Menge mit, Kinder nehmen eine Menge wahr und dazu zählt auch unsere Reaktion auf einen Unfall, der Ihnen wiederfahren ist.

Nun ist es leichter gesagt als getan Ruhe zu bewahren, vor allem in wirklich extremen Situationen und ich nehme hier einmal bewusst das Beispiel eines blutenden offenen Beinbruches mit einem herausstehenden Schienbein, das da eigentlich so nicht hingehört (sicherlich hat sich zumindest gerade ihr Mundwinkel oder sogar mehr, zumindest ein klein wenig, verzogen, als Sie sich genau dieses Bild vor Augen riefen – sie fühlen also mit, ob Sie wollen oder nicht!).
Es ist schwer diese Ruhe zu bewahren und sich nichts anmerken zu lassen. Das will ich auch gar nicht bestreiten, auch nicht als Rettungsdienstmitarbeiter. Wenn es dann auch noch um das eigene Kind geht, ist es nochmal eine völlig andere und deutlich mehr belastende Sache, auch für mich. Aber ich muss versuchen mich zu überwinden, meine Ängste zu überwinden und eben diese Ruhe, die mein Kind benötigt, auszustrahlen, auch wenn es in meinem Inneren zugehen mag wie in einem Vulkan.

Durchatmen ist hier die Devise! Ihr Hirn braucht, vor allem ausreichend, Sauerstoff, um richtig arbeiten zu können und ein paar tiefe Atemzüge können in jeglicher stressigen Situation wahre Wunder bewirken. Man kommt runter und damit tut man seinem Kind einen ganz großen Gefallen, denn das heißt weniger Stress für alle Beteiligten.

Wenn wir das erst geschafft haben, dieses „Runterkommen“, heißt es danach so ruhig wie möglich die nötigen weiteren Schritte einzuleiten und das bedeutet nicht, das eigene Kind auf die Rückbank zu schmeißen und mit einem Adrenalincocktail (unser körpereigenes Stresshormon) im Blut, wie Schumi damals über die Rennstrecke, vorbei an jeder roten Ampel, durchzubrettern. Hier wäre das Risiko einfach viel zu groß selbst einen Unfall zu verursachen und die Situation vielleicht sogar noch zu verschlimmern oder wegen einer, sich im Nachhinein rausstellenden, Lappalie andere Menschenleben auf dem Gewissen zu haben.
Eine sinnvolle Alternative wäre es den Notruf abzusetzen (wie und was ich dort sagen sollte, dazu beim nächsten Mal mehr) und auf den Rettungsdienst zu warten, während ich weitere Erste Hilfe leiste. Die Rettungsdienstmitarbeiter können dann bei kleinen Sachen, die Sie vielleicht fehlinterpretiert haben, vor Ort versorgen und einen Krankenhausaufenthalt ersparen oder man nimmt Sie und ihr hilfebedürftiges Kind mit, unter Blaulicht und ausreichend Erfahrung auch in Stresssituationen besonnen und zügig zu fahren, ins Krankenhaus.

Aus eigener persönlicher! Erfahrung kann ich Ihnen sogar sagen, dass ihr Kind im Krankenhaus, in sehr vielen Fällen, schneller behandelt werden wird, wenn es mit Blaulicht dort ankommt. Leider scheint das Pflegepersonal einiger Häuser immer noch die Meinung zu vertreten, wer nicht den Rettungsdienst ruft, sondern sein Kind selbst fährt, beim dem kann das Ganze auch nicht wirklich schlimm sein, und das völlig unabhängig vom dem was passiert ist. Auf die Geschichte, auf die ich hier anspiele werde ich, zu einem späteren Zeitpunkt der Kolumne, noch zu sprechen kommen. Schließlich sollen meine privaten Erlebnisse hier auch einfließen, denn auch beim Rescuedad gab es schon Notfälle am eigenen Kind.

Und wenn dann wirklich gar nichts mehr geht: Hilfe holen! In der Familie oder beim Nachbarn, möglichst ohne dabei, vor lauter Aufregung, gegen die Wand zu laufen um dann bewusstlos liegen zu bleiben und wenn das erledigt ist sollte man sich dann ein klein wenig zurückziehen. Nicht komplett aus dem Raum, aber zumindest emotional.

Der Aufgeregteste am Notfallort ist immer am besten geeignet um unten den Rettungsdienst in Empfang zu nehmen und zur Wohnung zu geleiten oder eine andere Aufgabe zu übernehmen, sodass der andere Elternteil beim Kind verbleiben kann und dieses dann auch noch beruhigt. Die frische Luft und der Abstand zum Geschehnis können auch hier nachhaltig helfen.
Bedenken Sie das vor allem auch, wenn die/der eigene Partner/in gerade völlig am Durchdrehen ist und geben ihm/ihr eine einfache Aufgabe.

So verteilen auch wir im Rettungsdienst manchmal mehr oder weniger „sinnvolle“ Aufgaben an Patientenangehörige, um diese ein bisschen aufzufangen und sie somit von der belastenden Situation abzulenken. Da heißt es dann auch schon zum Angehörigen, er müsse die Tropfen zählen die durch die Infusion laufen, weil wir genau diesen Wert unbedingt bräuchten, um ihn später ins Einsatzprotokoll zu schreiben - und das klappt dann auch, sogar öfter als man denkt. So Etwas hat den gravierenden Vorteil, dass alle am Geschehen beteiligten Personen ein wenig runterkommen und der Patient selbst, in Folge dessen, ruhiger wird, somit weniger Sauerstoffverbrauch hat. In vielen Situationen kann das dann lebensrettend sein.

Also, im Fall der Fälle: Tief durchatmen! Damit ist Ihnen und ihrem Kind geholfen.

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Autor: Slawomir Ernst (Rescuedad) ist verheiratet und Vater von vier Söhnen. Zurzeit ist er als Schulleiter einer Berliner Rettungsdienst-Akademie und Ausbilder in der Breitenausbildung (Bereich Erste Hilfe, Erste Hilfe am Kind und Lebensrettende Sofortmaßnahmen) tätig. Ab und zu trifft man ihn auch noch auf einem Rettungs- oder Krankenwagen.

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