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Bikinizone
In Deutschland greift die Sexismusdebatte weiter um sich. Manche schreien auf und andere verstehen die Welt nicht mehr. In einem vielbeachteten Artikel stellt eine Autorin klar, dass sie kein Mann sein möchte in einer Welt, in der bereits 13-Jährige mit Push-up-BHs zur Schule gehen. Geht mir genauso. Allerdings bin ich nun einmal Mann und Vater und stelle mir als solcher die Frage, woher solche Auswüchse eigentlich kommen. In welchem Alter fangen wir bewusst oder unbewusst an, unsere Kinder zu sexualisieren? Und warum überhaupt?
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Inzwischen gehört meine siebenjährige Tochter nicht mehr zu den Mädchen, die beim Schwimmen unbedingt einen Bikini tragen müssen. Das hat sicher auch mit Glück zu tun, aber in unserem Fall wohl hauptsächlich damit, dass ich mir den Mund fusselig geredet habe, um ihr das auszureden. Warum ich das gemacht habe? Nun, überraschender Weise verfügt meine Tochter in ihrem Alter noch nicht über Brüste. Und auch wenn ich persönlich die zwanghafte Verhüllung von Geschlechtsmerkmalen häufig überflüssig finde, so kann ich doch anerkennen, dass die Gesellschaft, in der ich lebe, darauf besteht. Ich bin da eher unbedarft. Manche Menschen haben eine Muschi, andere eben nicht. Manche Menschen haben Brüste, andere haben sie nicht – oder noch nicht. Meine Tochter hat definitiv keine. Es gibt also keinen Grund, sich ein abgerüschtes Stofffetzchen unter die Arme zu binden. Wozu auch? Trotzdem wollte sie vor kurzem noch eins haben. Und ich habe meinen Teil dazu beigetragen. Wie konnte es nur dazu kommen?
Zunächst einmal:
Ja, ich bin einer von diesen Vätern, die es nicht schätzen, ihre Kinder zu sexualisieren, indem ich sie in Kleidung, Gestik und Sprache die sexuelle Welt der Erwachsenen nachahmen lasse. Sie brauchen auch nicht zu rauchen, sich einen Job zu suchen oder über meine schlechten Politikwitze zu lachen. Die Entscheidungen hierzu werden sicher kommen, sie haben ihre Zeit. Momentan spielen sie keine Rolle, es sei denn, sie werden ihnen aufgezwungen. In Berlin Kreuzberg hat sich das schon ein bisschen herumgesprochen. Im Spreewald- oder im Prinz(essinn)enbad sieht man einige Mädels mit Badehose. Gibt ja auch nichts zu gucken. Ich kam gar nicht in die Verlegenheit, für meine Tochter einen Bikini kaufen zu müssen, weil es immer mindestens ein Mädchen in ihrem Umfeld gab, das auch „nur“ eine Badehose getragen hat.
In Süddeutschland ist das etwas anders. Hier fällt meine Tochter nicht nur damit auf, dass sie auch gerne etwas mit Jungs macht und sich mehr nimmt, als man ihr zugestehen will. Nein, sie trägt auch als einziges Mädchen keinen Bikini. Also konnte sie meinen gutgemeinten Ratschlag, sich in einer neuen Stadt doch möglichst schnell neue Freundinnen und Freunde zu suchen eigentlich nur so verstehen: Zieh dir zum Baden einen Bikini an!
Dass sie bei der Einschulung schon ihr Seepferdchen hatte und mit mir manchmal vom Drei-Meter-Turm springt, beeindruckt die anderen Kinder nämlich kaum. Aber ein möglichst knapper, quietschpinker Bikini sichert ihr die Aufmerksamkeit und die Zugehörigkeit der anwesenden Mädchen und Klassenkameradinnen. Und weil ihr Städtchen nur ein Schwimmbad hat, sind immer welche da.
Ich hab mich dann mit Händen und Füßen verbal dagegen gewehrt. Habe erklärt, verglichen, räsoniert und noch mal erklärt. Zum Schluss habe sogar die alte Taschengeldgeschichte rausgekramt: Barbiepuppen, rosa Lackschühchen und anderen Kruscht kann sie sich von ihrem Geld selber kaufen – ich mache es nicht (dabei unbedingt ernst und resolut gucken).
So sind wir erst einmal verblieben.
Und was macht das Mädel inzwischen? Es hat ein paar gute Freunde und Freundinnen und trägt weiterhin Badehose, das ist gerade im Freibad viel praktischer. Oder sie trägt einen Badeanzug, damit die Schaumstoffmatten beim Spielen nicht so am Bauch scheuern. Mädchen, die in ihrem Alter Bikinis tragen, nennt sie inzwischen kitschig. Ich weiß nicht, woher sie das Wort hat, aber in dem Zusammenhang gefällt es mir. Selbst die Kitschigen wollen mit ihr befreundet sein. Immerhin kann sie schwimmen, vom Dreier springen und andere tolle Sachen. Einige wollen inzwischen sogar lieber Badehose tragen. Die Mütter gucken mich deswegen schon komisch an. So soll es sein.
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Über den Autor: Nils Pickert ist gebürtiger (Ost-)Berliner, lebt und arbeitet als freier Autor und Texter in Süddeutschland. Er ist passionierter Koch und Vater zweier Kinder.
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Kommentare
Die Mischung machts
Lieber Nils Pickert, ich finde es toll, dass Sie Ihren Sohn unterstützt haben, Kleider anzuziehen. Ich habe mich schon lange gefragt, wann Jungs endlich Rosa und Prinzessinnen etc. toll finden dürfen, denn die haben ja wesentlich weniger Rollenfreiheiten als Mädchen. Ich finde aber, es sollte dabei um die Kinder gehen und nicht ums Prinzip. Ich durfte als Kind der 70/80er in den Genuß einer geschlechtsneutralen Erziehung kommen und habe lange mit stolz (vor allem auch, weil es bequemer war) nur eine Bikinihose. Allerdings hatte ich trotz allem ein Mädchenherz und habe darunter gelitten, dass alle Verwandten z.B. angewiesen wurden, mir keine Barbie zu schenken und ich mir diesen Herzenswunsch nur mit dem eigenen Taschengeld erfüllen konnte. Heute finde ich Barbies genaus so schrecklich, wie damals meine Mutter. Aber ich verstehe (und erfülle in Maßen auch) die Wünsche meiner drei Töchter, sei es eine Barbie, eine Prinzessin Lillifee oder eben auch ein "echter" Bikini. Ich finde, die Mischung machts und vor allem eine kritische Auseinandersetzung mit Rollenbildern und Marketingstrategien der Firmen. Und trotz allem ist das größte Idol meiner Kinder Pippi Langstrumpf. :-)