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Ausgeschlagene Zähne

Spielen gehen, Hinfallen, irgendwo mit dem Gesicht aufschlagen und schon ist es passiert: Der Zahn ist raus. Bei Milchzähnen, bis auf die Wunde selbst, nicht weiter gravierend – bei bleibenden Zähnen ein kleines Desaster. Was tun wenn es dazu kommt? Sekundenkleber, Krankenhaus, Rettungsdienst?

ausgeschlagener Zahn beim Kind

Habe ich nicht irgendwann im Interview behauptet, dass man noch so gut aufpassen und vorbeugen kann und es dennoch immer wieder zu der einen oder anderen „Notfall“-Situation kommen kann und selbst die Kids des Rescuedads nicht außen vor sind?

Am letzten Wochenende durfte ich mich dann selbst noch einmal davon überzeugen und genau deshalb bin ich von meinem eigentlich geplanten Thema abgewichen, um heute über ausgeschlagene Zähne und die damit verbundene Erste Hilfe zu schreiben.

Aber fangen wir ganz vorne an: Letzten Samstag haben unsere Kids vom frühen Morgen an vor uns gehangen und uns mit dem immer wiederkehrenden Satz: „Dürfen wir nach draußen zum Spielen?“ bei Laune gehalten. Sie kennen das sicherlich, sofern ihre Kinder schon alt genug sind. Was macht ein Elternteil in einer solchen Situation, wenn gerade nichts anderes ansteht und man entspannt in den Tag starten möchte? Richtig – er gibt nach und lässt seine Kinder raus!

Unser Größter schnappt sich nun also sein Skateboard, das er unbedingt haben wollte (natürlich war ich auf Schürfwunden und vieles mehr eingestellt als ich widerwillig irgendwann doch nachgegeben hatte und es ihm kaufte, aber man denkt eben nie so doof wie es in Wirklichkeit kommt und bisher war ja auch nie etwas passiert…) und sein kleinerer Bruder nimmt einen Fußball mit – eine fatale Kombination wie sich gleich herausstellen wird. Die anderen Beiden blieben bei uns zu Hause, da das Baby noch kein Interesse am „Spielen“ hat und unser Zweitjüngster mit Malen beschäftigt war. Als Elternteil denkt man sich in genau dieser Situation: Ruhe! Nicht viel, aber ein bisschen - super!

Denkste! Diese Ruhe war von kurzer Dauer. Keine 10 Minuten nach dem die beiden Großen unten losgelegt hatten, standen sie nun, mit Begleitung, denn es musste ja noch ein Skateboard mitgebracht werden, wieder vor der Tür. Einer etwas eingeschüchtert, der andere weinend, mit einer Hand vor dem Mund und in der anderen einen Zahn haltend.

Was war passiert? Der Große skatete unbedacht seiner Wege und rechnete natürlich nicht damit, dass sein Bruder ihm den Fußball im unpassendsten aller Momente direkt in den Fahrtweg schießen würde (wir hoffen und setzen voraus, dass es ungewollt war – bei Brüdern die sich zanken kann man ja nie wirklich wissen, aber wir setzen es einfach voraus). Ball und fahrendes Skateboard ergaben keine Symbiose und mein Sohn entschied sich dazu mit dem Gesicht zu bremsen – Hände werden ja eh irgendwie überbewertet. Das Ergebnis dieser Bremsung hatte nun dazu beigetragen, dass er sich beide bleibenden Schneidezähne massakrierte: der rechte bis an die Wurzel abgebrochen und der linke zum Stück auch ausgebrochen.

Damit war der ruhige Start ins Wochenende dann auch vorbei. Doch was nun?

Ihn so stehen lassen uns darauf hoffen, dass ihm die restlichen Zähne ausreichen werden? Als gut sortierter Handwerker-Papa den Sekundenkleber oder aushärtenden Bauschaum (wollte ich schließlich immer schon mal benutzen) einsetzen? Den Rettungsdienst anrufen oder ihn sowie seinen Zahn einpacken und ab ins Krankenhaus? Vielleicht doch lieber in die Zahnklinik?

Wir entschieden uns natürlich nicht für den Sekundenkleber, auch nicht für den Bauschaum (meine Frau war dagegen ;) ), sondern für die Variante: Kind und Zahn einpacken und ab in die Zahnklinik.

Anders hätte es wohl ausgesehen, wenn er stark geblutet hätte und der Zahn vielleicht sogar das Zahnfleisch aufgerissen hätte, dann wären wir nämlich ins Krankenhaus gefahren und das tun bitte auch Sie im Zweifelsfall: Starke Blutung = Krankenhaus (evtl. sogar mit Rettungsdienst). Ist die Blutung jedoch nur minimal dann ziehen Sie die Zahnklinik vor.

Was wird nun mit dem Kind und dem Zahn gemacht?

Das Kind wird beruhigt und nicht ausgeschimpft – glauben Sie mir: es leidet bereits genug und hat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch Schmerzen! Dennoch trotz dieser Schmerzen werden wir keine Schmerzmedikamente geben, denn die könnten schädlich sein und ob sowie was gegeben wird, darüber hat ein Arzt zu entscheiden.

Blutet es im Mundraum, dann nehmen Sie eine Kompresse aus ihrem Erste-Hilfe-Kasten (demnächst gibt es auch eine Liste was man alles im Haushalt für die Erste Hilfe vor Ort haben sollte; Kompressen gehören definitiv dazu), rollen diese zu einer kleinen Kugel zusammen und dann soll Sohnemann oder Töchterchen darauf, „beißend“ (sofern das dann noch möglich ist), Druck ausüben. Dadurch wird die Blutung im Mundraum, ähnlich wie bei einem Druckverband am Arm, langsam gestillt.

Damit ist das Kind bis zum Eintreffen in der Zahnklinik weitestgehend versorgt und viel mehr können Sie jetzt auch nicht tun. Bleibt noch der Zahn zu versorgen.

Packen Sie ihn ein! Aber nicht in die Handtasche und auch möglichst ohne dabei die Zahnwurzel selbst zu berühren! Der Zahn sollte, so schnell wie möglich feucht gehalten werden. Dazu eignen sich H-Milch (keine Vollmilch!), Kochsalzlösung (aus der Apotheke, nicht selbst produziert!), ein Gefrierbeutel sowie Frischhaltefolie oder, noch viel besser, eine Zahnrettungsbox, in der bereits eine entsprechende Nährflüssigkeit vorhanden ist, hervorragend. Diese Zahnrettungsboxen finden Sie in der Apotheke ihres Vertrauens.

Der Sinn dahinter ist, dass die Wurzel des Zahnes nicht austrocknen darf – ist das erst passiert, dann sieht es um den Erhalt schlecht aus.

Warum genau diese Sachen und nicht Leitungswasser oder Vollmilch? Die Antwort lässt sich sehr leicht formulieren: Keime! Die Anzahl an Keimen ist in Leitungswasser als auch Vollmilch viel zu hoch und beide Flüssigkeiten eignen sich daher nicht als Nährflüssigkeit für den Zahn.

Aber kommen Sie jetzt nicht auf kuriose Ideen! Wir wollen Erste Hilfe leisten und nicht die Medizin neu erfinden. Sollten Sie auf die Idee kommen, den Zahn säubern zu wollen oder ihn gar zu desinfizieren, dann können Sie ihn auch getrost zu Hause belassen. Damit haben Sie dann nämlich die Wahrscheinlichkeit einer Replantation („Wiedereinpflanzung“), wie die bis dahin vorhandenen Keime, quasi ausgelöscht. Auch die Tätigkeit der Reinigung obliegt in diesem Fall dem behandelnden Arzt.

Vielfach bekam ich schon zu hören, dass es dann doch das Beste sei, wenn das Kind den abgebrochenen Zahn in den Mund nehmen würde, da er ja dort eh hingehöre und die Keime ihm dort nichts anhaben können. Leider ist die Annahme falsch. Im Mund haben wir – denken Sie bloß nie an diesen Artikel wenn Sie das nächste Mal jemanden küssen wollen – mitunter die meisten Keime im Körper. Es ist ein Herd aller möglichen Ansammlungen und selbst, dank einer Dozentin aus meiner eigenen Ausbildungszeit weiß ich nun auch dass wir im Rektalbereich teilweise eine geringere Keimbelastung als im Mund haben. Also: kein Speichel! Außerdem wäre die Gefahr viel zu groß, dass das Kind den Zahn verschluckt und dieser vielleicht nicht in der Speise- sondern, noch gravierender, in der Luftröhre landet.

Und wenn Sie all das gemacht haben: Beides, also Kind und Zahn, einpacken und in die nächste offene Zahnklinik fahren. Achten Sie hier darauf, dass auch Kinder als Patienten akzeptiert werden, rufen Sie also vorher kurz an, damit Sie nicht wie wir zur nächsten Klinik weitergeschickt werden, weil man offensichtlich mit der Behandlung von Kindern in einigen Zahnkliniken (bei uns war es der Süden Berlins) überfordert zu sein scheint.

Danach heißt es nur noch hoffen, dass etwas getan werden kann. Die Zahnärzte und Kieferorthopäden werden ein Röntgenbild machen und entscheiden wie die weitere Behandlung aussehen wird.

In unserem Fall ließ sich leider nicht mehr viel machen, denn so wie ihn sich unser Sohn abgebrochen hat ist ein Zahnaufbau quasi unmöglich und er wird sich Wohl oder Übel auf eine Krone einstellen müssen.

Was hätte man anders machen können? Ich zitiere an dieser Stelle einfach meinen Sohn: „Mann, hätte ich mir dieses Scheiß-Skateboard nicht gewünscht, dann wäre das nicht passiert“.

Aus der Geschichte haben wir beide etwas gelernt: er wird wohl nicht wieder skaten und ich werde mich, auch nach einem halben Jahr, nicht wieder bequatschen lassen und ein Skateboard kaufen.

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Autor: Slawomir Ernst (Rescuedad) ist verheiratet und Vater von vier Söhnen. Zurzeit ist er als Schulleiter einer Berliner Rettungsdienst-Akademie und Ausbilder in der Breitenausbildung (Bereich Erste Hilfe, Erste Hilfe am Kind und Lebensrettende Sofortmaßnahmen) tätig. Ab und zu trifft man ihn auch noch auf einem Rettungs- oder Krankenwagen.

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