Magazin

Der Notruf

Wo rufe ich an? Habe ich auch andere Optionen als Handy und Festnetztelefon? Soll ich einen halben Roman erzählen oder doch lieber kurze prägnante Angaben machen? Wie genau mache ich das jetzt? Das kann alles zum Problem und zur auftauchenden Fragestellung werden, wenn es darum geht den besagten Notruf abzusetzen. Damit wir eine Ansammlung wirr abgegebener Informationen umgehen, möchte ich hier nun einen kleinen Leitfaden geben, was genau wichtig ist, damit die professionelle Hilfe, das Nötigste weiß und so schnell wie möglich ausrücken kann.

Notruf - Erste Hilfe am Kind

Wenn ich Hilfe holen möchte dann habe ich unterschiedliche Möglichkeiten dies zu tun. Zwei Alternativen stehen schon oben: Festnetz und Handy (hat heutzutage so gut wie jeder). Wenn ich diese Variante zur Verfügung stehen habe, sollte ich sie auch nutzen. Unter der Rufnummer 112 erreiche ich dann europaweit, die zuständigen Leitstellen, die mir diese Hilfe aussenden. Aber auch wenn ich mich entscheiden sollte es unter der 110 zu probieren, weil ich vor lauter Aufregung die Nummer der Rettungsdienste vergessen habe, wird mir geholfen und der Rettungsdienst durch die Polizei informiert. Selbst wenn ich mich entscheiden sollte, vielleicht weil ich die letzten 10 Jahre in Amerika gelebt habe, die 911 zu wählen, werde ich in Deutschland fündig was rettungsdienstliche Hilfe angeht. Und keine Sorge, sie landen nicht auf dem amerikanischen Kontinent und müssen ihr Anliegen dann in Englisch schildern. Ihr Anruf würde, selbst unter der 911, an die zuständigen Stellen in Deutschland weitergeleitet werden.

Wie gesagt diese zwei Alternativen habe ich, muss aber bei der Handyvariante noch eine ganz bestimmte Sache bedenken: Ich bin mobil! So bekomme ich ganz oft zu hören, dass wenn man gerade irgendwo unterwegs war und tatsächlich einmal die 112 gewählt hat keine Verbindung zu Stande kam. Es gab nicht einmal ein Freizeichen und man hätte sich anders helfen müssen – das ist als Aussage erst einmal falsch. Die Tatsache ist jedoch, dass der Gesprächsaufbau länger dauert und man deswegen nicht sofort ein Freizeichen hört. Warum ist das so? – Wie gesagt: Sie sind mobil! Was würde es mir bringen wenn ich meinen Handyvertrag in Berlin abgeschlossen habe, mich aber gerade in München befinde und nun beim Absetzen des Notrufes die Berliner Leitstelle rangeht um mich dann mühsam nach München durchzulotsen? – Nicht viel! Genau deswegen dauert der Gesprächsaufbau länger, denn man ortet ihr Handy. Nicht punktgenau, aber in einem Radius von ca. 50 Metern, um Ihren Notruf an die nächstgelegene Leitstelle zu leiten. Damit wird gewährleistet, dass die Hilfe so schnell wie möglich bei Ihnen sein kann. Und genau hier können, je nach Funksituation, teilweise 30 Sekunden vergehen bis ich ein Freizeichen höre. Also nicht aufgeben, auflegen und über die miese Netzabdeckung schimpfen, sondern ein paar Sekunden vergehen lassen und warten. Dieses Ortungsphänomen wird wie gesagt nur im Funknetz auftauchen, die festen Stationen kann man ja zuordnen. Und an die die nun wegen Datenschutz schimpfen möchten: Es ist nur zu ihrem Vorteil, wenn wir wissen wo Sie sich befinden, denn auch Sie könnten sich vom Allgemeinzustand her verschlechtern und nicht mehr sprachfähig sein und dann wissen wir zumindest eine grobe Richtung in der wir unterwegs sein müssen. Oder Sie sind, durch die Aufregung desorientiert – auch dann ist es nur nützlich für alle Parteien. Auf den Fleck genau orten wir sowieso nicht.

Was aber tun, wenn kein eigenes Telefon zur Verfügung steht? – Auch dann gibt es Möglichkeiten. Ich kann Nachbarn fragen, nachkommende Personen oder Fahrzeuge (selbst Fahrzeuge des öffentlichen Nahverkehrs können über ihren Funk einen Notruf absetzen), anhalten. Irgendwer wird sicherlich ein Telefon bei sich haben und er muss es Ihnen auch geben, ob er will oder nicht, denn ansonsten würde er sich nach §323c StGB (der unterlassenen Hilfeleistung) strafbar machen. Und sofern auch das nicht möglich ist, habe ich vor allem im öffentlichen Bereich eine Menge Möglichkeiten: Notrufsäulen auf der Autobahn (die in entsprechenden Abständen aufgestellt werden) sowie an Bahnhöfen und vielen öffentlichen Einrichtungen/Plätzen oder eben diese öffentlichen Einrichtungen selbst, die einen Telefonanschluss besitzen werden. Die Möglichkeit einen Notruf abzusetzen bietet sich also immer in irgendeiner Form.

Wenn ich nun eine Option gefunden habe, diese professionelle Hilfe zu holen, dann sollte ich auch wissen welche Informationen ich durchgebe. Und hier heißt es: In der Kürze liegt die Würze.

Natürlich haben wir ein offenes Ohr für ihre Belange, es bringt aber nichts, wenn man sich erst eine halbe Stunde etwas zum Geschehen anhört und erst dann die Information erhält wo genau man hin muss. Das hilft uns nicht und Ihnen sowie Ihrem Kind noch weniger. Um das zu Umgehen gibt es die sogenannte 5W-Regel. Folgende Informationen sollte ich dementsprechend beim Notruf weitergeben:

Fangen wir mit dem Wichtigsten an: WO?

Wo genau befinde ich mich? Bin ich auf der Autobahn, ist es mit der A1 als Angabe nicht getan. Auch wenn wir Sie eingeschränkt orten können, stoßen wir an dann an unsere Grenzen und das Prozedere würde sich unnötig in die Länge ziehen. Also sollte ich angeben auf welcher Straße oder Autobahn ich mich befinde und in welcher Richtung ich gerade fahre (es macht ja einen Unterschied ob Sie gerade Richtung Hamburg oder Richtung München unterwegs sind), denn der Rettungsdienst sollte wissen von welcher Seite er anfahren muss um nicht einmal quer über die Autobahn laufen zu müssen. Auch wäre es interessant zumindest die letzte oder die nächste Ausfahrt zu kennen und auch die Zahl auf dem Kilometerstein kann und sollte man, nach Möglichkeit, angeben.

Befinde ich mich in der Stadt, irgendwo auf der Straße, dann sollte ich sagen auf welcher Haushöhe oder vor welchem Ladengeschäft ich gerade bin.

Bin ich zu Hause, dann sollte ich genau sagen auf welcher Etage meines 10-schössigen Hauses und in welchem meiner 100 Zimmer ich mich befinde. Spaß beiseite: In Mehrfamilienhäusern und Wohnungsanlagen kann es wichtig sein zu sagen, dass man sich im 3. Hinterhaus (und ja, in Berlin gibt es sowas), in der 4. Etage und dort in der Wohnung der Familie Schmitt – mit Doppel-T, links befindet.

Jede Information, kurz und bündig! Wo genau Sie sich befinden, bringt uns alle besser voran. Und auch wenn dem gar keine weitere Information mehr folgen sollte, wissen wir wenigstens wo genau wir hin müssen, unabhängig davon was passiert ist.

Ein kurioses Beispiel habe ich selbst erlebt: Eine junge Mutter, dessen Kind sich verletzt hatte, rief unter der 112 in der Leitstelle an und äußerte nur: „Ich glaub‘ mein Kind hat sich den Arm gebrochen!“. Daraufhin legte Sie wieder auf. Nun können wir, Gott oder Wem auch immer sei Dank, die Nummer sehen und zurückrufen, um an nötige Informationen zu kommen. Aber was hätten wir mit dieser Information alleine anfangen sollen? Alle Rettungswagen Berlins auf die Straße schicken, um nach einem Kind mit evtl. gebrochenem Arm Ausschau zu halten? – Das geht definitiv nicht! Sie sehen also alleine an diesem Beispiel, wie wichtig die Ortsangabe ist – umso genauer umso besser!

Danach folgt das: WAS?

Was ist passiert? Sie sollen nicht Sherlock Holmes spielen und eine Gesamtanalyse machen, welche Umstände dazu geführt haben, dass etwas genau so passiert ist, aber es wäre für den Rettungsdienst wichtig zu wissen, ob wir es mit einem Autounfall, einem brennenden Haus oder einer Einzelperson zu Hause zu tun haben. Dadurch wird entschieden, welche Kräfte ausrücken. Wird der Rettungsdienst oder der Rettungsdienst, die Feuerwehr und die Polizei benötigt?

WIE VIELE?

Wie viele Personen sind betroffen? Hat sich mein Kind gerade den Arm gebrochen oder waren wir mit Tante Erna und Oma Hilde, mit der ganzen Familie im Restaurant unserer Wahl und plötzlich haben alle 20 beteiligten Personen, inklusive mir, heftiges Erbrechen? Danach entscheidet man wie viele Kräfte ausrücken. Denn in der zweiten Situation wäre es mit einem einzelnen Rettungswagen nicht erledigt, man bräuchte eine kleine Armada an Rettungsdienstfahrzeugen, wenn es sich um viele Personen handelt.

WELCHE?

Hier gibt es jetzt die Detailanalyse! Welche Verletzungen und Krankheiten bzw. Symptome liegen vor? Völlig willkürlich gewählt: Heftige Brustschmerzen, Bauchschmerzen, Herzstillstand, Atemnot, gebrochene Beine, Insektenstiche, Erbrechen, Schnittwunden oder, um es einmal mehr auf die Spitze zu treiben (natürlich ist hier nicht ihr Kind gemeint): Kopf ab?

Durch die Angabe dieser Information wird spezialisiert entschieden wer ausrückt. Ist es der Rettungsdienst alleine oder schickt man gleich einen Notarzt mit? Ist das überhaupt ein Fall bei dem ein Notarzt benötigt wird oder reicht auch das Wissen und das Equipment des Rettungsdienstpersonals? Braucht man vielleicht sogar spezielle Helfer, wie besondere Einsatzteams zur Behandlung von Neugeborenen? Handelt es sich um eine Kleinigkeit so geringen Ausmaßes, dass vielleicht doch der kassenärztliche Notdienst (der fälschlicherweise häufig als Notarzt bezeichnet wird, weil er auch außerhalb der gängigen Praxiszeiten mit seinem Fahrzeug zu einem kommt) ausreicht?

Und damit kommen wir zum letzten Punkt: WARTEN!

Nicht etwa nur auf den Rettungsdienst, sondern am Telefon auf Rückfragen seitens der Leitstelle, die sich vielleicht ergeben haben, um die Situation dann noch besser aufschlüsseln zu können. Und außerdem kann auch der rettungsdiensterfahrene Kollege in der Leitstelle bereits erste Maßnahmen benennen, wie Sie einer betroffenen und hilfebedürftigen Person helfen können. So gab es schon diverse Fälle, in denen man, als Angehöriger, über die Leitstelle, sofern nötig, zur Herz-Lungen-Wiederbelebung instruiert wurde, was die Überlebens- und Genesungschancen des Betroffenen natürlich deutlich verbessert.

Und auch wenn man diese 5W-Regel gleich wieder aus seinem Gedächtnis gelöscht hat: die Angestellten in den Leitstellen der Rettungsdienste tun das nicht. Atmen Sie also einmal mehr tief durch und lassen sich „notfalls“ durch das Gespräch führen. Dennoch halte ich es für sinnvoll sich wenigstens damit auseinandergesetzt zu haben, was mich erwartet.

Einmal mehr: Gehen Sie hinaus und helfen!

An dieser Stelle möchte ich einfach die Möglichkeit bieten Themenvorschläge zu machen. Natürlich kann ich wöchentlich zu einem, mir beliebigen, Thema schreiben, aber mich interessiert auch was Sie/Euch interessiert! Also einfach freshdads.com oder mich kontaktieren und Vorschläge, Kritik und Themenwünsche äußern! In Vorfreude darauf möchte ich allen dafür und natürlich auch für das Lesen und Unterstützen unserer/meiner Kolumne danken!

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Autor: Slawomir Ernst (Rescuedad) ist verheiratet und Vater von vier Söhnen. Zurzeit ist er als Schulleiter einer Berliner Rettungsdienst-Akademie und Ausbilder in der Breitenausbildung (Bereich Erste Hilfe, Erste Hilfe am Kind und Lebensrettende Sofortmaßnahmen) tätig. Ab und zu trifft man ihn auch noch auf einem Rettungs- oder Krankenwagen.

 

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.