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Mysterium Erste Hilfe
Ein Unfall, eine Erkrankung oder eine Vergiftung führen ganz schnell in eine Notfallsituation in der man helfen sollte und schlagartig mit dem Mysterium Ersten Hilfe konfrontiert wird. Aber was ist eigentlich Erste Hilfe? Ist es die Herz-Lungen-Wiederbelebung, der Luftröhrenschnitt, der blutige Verband, das bloße Pflaster oder fängt Erste Hilfe bereits an einer völlig anderen Stelle an? Und welche Voraussetzung muss ich überhaupt erfüllen um Erste Hilfe leisten zu können? Braucht es einen speziellen Kurs, muss ich „Medizinmann“ sein, eine spezielle Ausbildung haben oder reichen die drei letzten Folgen der Krankenhausserie, die ich gesehen habe, aus?
Erste Hilfe, das sind bereits kleine Dinge die getan werden können, um einem Mitmenschen (in unserem Fall: dem eigenen Kind), wie der Überbegriff schon sagt, helfen zu können. Wenn man in eine solche Situation kommt, dann kann man bereits dadurch Erste Hilfe leisten, dass man seine Aufmerksamkeit dem Geschehen, in welcher Art auch immer, widmet und nicht einfach vorbeiläuft, -fährt und sich abwendet.
Sie beginnt damit, dass ich nachfrage wie ich helfen kann und wo es wehtut, also einer seelischen Betreuung und dafür brauche ich keine spezielle Ausbildung, denn kommunizieren kann jeder, auf viele Arten und Weisen. Um jemandem seelisch beizustehen, muss man noch nicht einmal sprechen können. Das bloße Handhalten ist manchmal schon ausreichend und genau diese seelische Betreuung ist eine der simpelsten Formen der Ersten Hilfe, denn Sie beruhigt. Ruhe ist wichtig in jeglicher Art von Notfallsituation, denn Sie wirkt sich nachhaltig auf das Geschehen im Körper aus, welches wir mit bloßem Auge vielleicht nicht wahrnehmen können, die aber einen Erfolg und somit bessere Heilungschancen herbeiführen kann!
Vor allem am eigenen Kind sollte man genau das nicht unterschätzen. Wenn unser Kind merkt, dass wir uns kümmern, ihm die Hand halten und zu ihm stehen, dann verlangsamen sich bei ihm Atmung und Herzschlag, was ein Indiz dafür ist, dass sich der Sauerstoffbedarf im Körper reduziert – eine Folge von Stressbefreiung und im besten Fall lebensrettend.
Nun sollte jedoch jedem klar sein, dass es allein mit Händchenhalten und gut zureden, kaum getan sein wird, wenn es dann doch Mal eine größere Wunde gibt, einen Bruch, einen Insektenstich oder Schlimmeres. Meist wird dann, bis auf kleinere Lappalien, die man selbstständig mit Pflaster und einem Eis hinterher, in den Griff bekommt, der Rettungsdienst (mit Rettungssanitäter, Rettungsassistent und vielleicht sogar Notarzt) benötigt. Dieser Rettungsdienst hat aber kein Notfallradar und muss dementsprechend erst informiert werden, damit er sich zu uns und unserem hilfebedürftigem Kind auf den Weg macht. Was muss also her? – Der Notruf!
Auch der Notruf, indem ich dem behandelnden professionellen Personal Informationen zur Situation gebe, ist an sich bereits eine Erste-Hilfe-Leistung (wie er Ablaufen sollte und welche Informationen ich durchgeben muss, dazu in einem meiner nächsten Beiträge mehr). Selbst wenn ich in eine Situation kommen sollte, in der ich nicht aktiv an meinem betroffenen Kind, mittels seelischer Betreuung, helfen kann, weil es sich vielleicht außerhalb meiner Reichweite befindet, kann ich also Erste Hilfe leisten, indem ich einfach nur einen einzigen Anruf absetze. Und das gilt nicht nur für die eigenen vier Wände, das eigene Kind, den eigenen Familienangehörigen oder Freund, es gilt für jede Situation da draußen. Ich kann an einem Unfall vorbeifahren, was ich nicht machen sollte, aber ich kann es tun, wenn mir die Situation beispielsweise ungeheuer ist - dann kann ich aber trotzdem mit einem bloßen Telefonat Menschenleben retten und eben diese Erste Hilfe leisten.
Sollte sich nicht die Möglichkeit für mich bieten, weil das Handy gerade zu Hause geblieben oder der kurzlebige Akku leer ist und mir auch sonst keine Möglichkeit gegeben ist mit dem Rettungsdienst zu kommunizieren, dann kann ich mein Spektrum der Ersten-Hilfe-Leistung erweitern und nachkommende Passanten und Fahrzeuge, vielleicht Nachbarn im Wohnhaus, anhalten und ansprechen, damit diese einen Anruf tätigen oder vielleicht sogar aktiv helfen können.
Da nun der Rettungsdienst nicht per „Beam me up, Scotty!“ innerhalb von Millisekunden am Ort des Geschehens sein kann, muss auch die Zeit bis zum Eintreffen, in Berlin und anderen Großstädten sind das im Schnitt unter 8 Minuten, in ländlicheren Regionen können es auch mal 20 Minuten werden, irgendwie überbrückt werden und genau hier kommen wir an den Punkt, an dem es sich dann doch lohnen kann, gut informiert und mit notwendigem Material ausgestattet zu sein.
Vielleicht habe ich einen Kurs besucht oder einen Artikel gelesen und erinnere mich zurück, was ich genau in solchen Momenten tun kann oder besser sein lassen sollte. Wenn Sie das noch nicht haben, dann hat es vielleicht eben einer dieser Nachbarn, Passanten, Autofahrer oder wer auch immer getan und kann helfen - dann muss er sogar helfen und weitere Maßnahmen einleiten. Diese weiteren Maßnahmen fangen beim bloßen Pflasterkleben an und gehen über den Wärmeerhalt bis hin zu lebensrettenden Sofortmaßnahmen wie dem Druckverband, der stabilen Seitenlage oder, im schlimmsten Fall, der Herz-Lungen-Wiederbelebung.
Wie man also sehen kann, bietet die Erste Hilfe ein sehr breites Spektrum an Möglichkeiten um tätig zu werden und man muss hinterher dementsprechend auch nicht unbedingt aussehen als wäre man gerade an einem Filmset der nächsten Splatter- und Horrorfilmreihe zu Besuch gewesen oder sich selbst gefährden – denn bereits mit „Kleinigkeiten“ leistet man große Erste Hilfe.
Das einzig Wichtige: dass man tätig wird, egal ob am eigenen Kind oder an der wildfremden Person draußen, denn irgendeine Möglichkeit, telefonisch, seelisch oder mittels Aktivität, habe ich immer.
Das Superman-Kostüm, genau wie den dicken Medizinwälzer, können sie beherzt also im Schrank liegen lassen, wenn Hilfe gefordert wird. Ein Held sind Sie trotzdem und es braucht nicht viel um zu helfen: Keine besonderen Qualifikationen, kein bestimmtes Alter, keine Erfahrung, sondern nur ein bisschen Motivation und dann ist es leicht im Rahmen der eigenen Möglichkeiten zu handeln.
Um diese eigenen Handlungsmöglichkeiten dann noch auszubauen, was auch eine Sache der Motivation ist, die Sie sicherlich haben wenn es um ihr eigenes Kind geht, bietet es sich an das Wissen rund um die Erste-Hilfe aufzufrischen, indem man einen entsprechenden Kurs besucht oder sich fleißig in einer Kolumne, wie dieser hier, informiert.
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Autor: Slawomir Ernst (Rescuedad) ist verheiratet und Vater von vier Söhnen. Zurzeit ist er als Schulleiter einer Berliner Rettungsdienst-Akademie und Ausbilder in der Breitenausbildung (Bereich Erste Hilfe, Erste Hilfe am Kind und Lebensrettende Sofortmaßnahmen) tätig. Ab und zu trifft man ihn auch noch auf einem Rettungs- oder Krankenwagen.
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