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Pippi oder Pokemon
Neue Medien haben für Kinder eine ganz eigene Verführungskraft, die Eltern meistens nicht verstehen (wollen). Dabei erzählen sie auch nur Geschichten. Die Frage ist nur, welche zuerst erzählt werden sollten.
Als Jugendlicher gehörte ich zu der ersten Generation derer, die eine Videospielkonsole zu Hause hatten. Wenn ich aus der Schule, kam stand ich vor der Entscheidung: Spielen oder Lesen. Als Vater stehe ich mit meinen Kindern inzwischen vor einer ganz ähnlichen Entscheidung: Spielen oder lesen lassen. Und vor allem: Was davon kommt zuerst?
Es hilft nichts, sich etwas vorzumachen. Die neuen Medien haben längst Einzug in unser Leben gehalten und werden in Zukunft immer mehr Raum einnehmen. Wir arbeiten an Computern, benutzen MP3-Player, lesen vielleicht sogar schon Bücher auf eBook Readern und vergnügen uns in unserer Freizeit mit Spielekonsolen.
Unseren Kindern kann das nicht verborgen bleiben. Sie sind äußerst empfänglich für diese Technologien und pflegen beispielsweise liebevoll ihre virtuellen Haustiere, wenn man ihnen das entsprechende Gerät zur Verfügung stellt.
Letztendlich geht es immer um Geschichten und die Art und Weise, wie sie unseren Kindern erzählt werden. Entweder behutsam, facettenreich und Stück für Stück wie in einem Buch. Oder interaktiv, mit schnellen, visuellen Fortschritten in den Geschichten wie in Videospielen. Beides hat seinen Wert – es kommt jedoch auf die Reihenfolge an. Welche jungen Leseanfänger werden sich schon auf Bücher und langwierige Geschichten einlassen wollen, wenn sie Geschichten viel schneller und unmittelbarer erleben können? Und warum sollten diese Kinder als Jugendliche je ein Buch statt einer Konsole in die Hand nehmen, es sei denn, man zwingt sie dazu?
Die Freunde meiner Kinder finden mich streng, weil es bei uns zu Hause eine klare Medienreihenfolge gibt. Buch – Hörbuch – Film – Videospiel. Manchmal mache ich Ausnahmen, wenn zum Beispiel ein Film wie Mary Poppins viel besser und verständlicher für Kinder ist als die literarische Vorlage. Ähnliche Erfahrungen haben ich auch mit der Biene Maja oder Nils Holgersson gemacht. All diesen Beispielen hat die Straffung der Geschichte im Film- oder Fernsehformat gut getan. In diesen Formaten ist es gelungen, die Grundidee, jenen wunderbaren Zauber von Mary Poppins also, die freche Neugier von der Biene Maja und Nils’ Reisen als Däumling auf Martins Rücken, zu erhalten und noch besser herauszuarbeiten. Falls Sie mir nicht glauben, können Sie gerne einmal versuchen, Ihren Kindern die ungekürzten Abenteuer des kleinen Nils Holgersson vorzulesen oder mir bei nächster Gelegenheit erklären, was die seitenlange Geschichte von der roten Kuh eigentlich mit Mary Poppins zu tun hat.
In anderen Fällen ist genau das Gegenteil passiert. So hat Michael Ende einen strapaziösen Rechtsstreit auf sich genommen (und verloren), um zu verhindern, dass die seiner Meinung nach misslungene Verfilmung seiner Unendlichen Geschichte die Kinos erreicht. Was hat ihn an diesem Film, den Millionen Kinder heiß und innig geliebt haben, so geärgert? Zwei Dinge: Zum einen entwickelt Bastian Phantasien nach seinem Eintritt in dieses Reich aus seinen Wünschen und Phantasien völlig neu – im Film bleibt alles wie gehabt. Und zum anderen haben die Filmmacher eines billigen Effekts wegen das ganze Konzept der Geschichte ad absurdum geführt. Zum Schluss fliegt Bastian mit dem Glücksdrachen in die echte Welt, um ein paar Jungen zu erschrecken, die ihn geärgert haben. Aber eigentlich sollten phantasische Wesen nicht in die echte Welt kommen dürfen. Sonst hätte die Kindliche Kaiserin ja persönlich vorbeischauen können und nur immer neue Menschen zu sich einladen brauchen, die ihr dann den so dringend benötigten Namen geben. Der Film macht damit die ganze Geschichte einfach überflüssig. Warum erzähle ich Ihnen das? Weil nicht das Medium den Unterschied macht, sondern die Qualität der Inhalte.
Und trotzdem fange ich mit Büchern an. Ich lese abends vor dem Zubettgehen vor, auch wenn meine Große schon selbst liest. Kann sein, dass ich das auch für mich mache. Aber Bücher werden im Leben meiner Kinder immer den ersten Platz eingenommen haben – in der Hoffnung, dass sie auch in ihrem späteren Leben noch einen Platz finden.
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Über den Autor: Nils Pickert ist gebürtiger (Ost-)Berliner, lebt und arbeitet als freier Autor und Texter in Süddeutschland. Er ist passionierter Koch und Vater zweier Kinder.
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